15.Dez.2016

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Mit dem Glühwein in der Hand auf Weltreise

Angelika Greif

Es muss nicht immer klirren vor Kälte, damit in diesen Tagen beim Genuss eines Glühweins das Gefühl heimischer Bodenständigkeit aufkommt. Doch das genannte Getränk ist ein Weltenbürger mit Tradition . . . und seine Zutaten laden den versierten Glühweintrinker zu einer kurzen Geschichts- und Weltreise ein.

Erste Station: Augsburg, Winter 1956. Der Winzer Rudolf Kunzmann kommt auf die Idee, Wein mit Zucker und Gewürzen zu versetzen und als Glühwein in Flaschen zu verkaufen. Damit begeht er eine Rechtswidrigkeit, denn der Zuckerzusatz zu Wein ist nach damaligem Weinrecht verboten. Der Bußgeldbescheid, den das Augsburger Marktamt dem kreativen Weinhändler ausstellt, dokumentiert das Geburtsjahr des uns heute bekannten Glühweins. Dabei sind seine Vorläufer sehr viel älteren Datums . . .

Zweite Station: das antike Rom. Das wohl älteste Gewürzwein-Rezept der Welt ist in Latein verfasst und nachzuschlagen im Kochbuch „De re coquinaria“, einer Sammlung von antiken Rezepten des Kochs und Feinschmeckers Marcus Gavius Apicius. Der hier beschriebene Gewürzwein „Conditum paradoxum“ gewinnt durch den Zusatz von Honig, Pfeffer, Lorbeer, Safran und Mastix beträchtlich an Haltbarkeit. Mehr um die heilsame Wirkung der Gewürze im Wein geht es allerdings im Mittelalter. Machen wir uns also auf den Weg zurück nach Deutschland . . .

Dritte Station: Bingen. Rezepte für „Claret“, den mit Gewürzen angesetzten und dann filtrierten („geklärten“) weißen Wein werden bereits Hildegard von Bingen (1098-1178) zugeschrieben. Die mittelalterlichen Gewürzweine sind nicht nur Genussmittel, sondern auch Medizin. So fördert Ingwer die Verdauung und ist gut gegen Blähungen, Nelken und Kardamom wirken anregend, und Zimt schafft wohlriechenden Atem.

Vierte Station: Basel. Der Name des mittelalterlichen roten Gewürzweins „Hypocras“, benannt nach dem griechischen Arzt Hippokrates, verweist auf seine medizinische Bedeutung. 1523 gestattet das Kantonsparlament von Basel den Handel mit diesem süßen Wein. Getrunken wird er dort bis heute, und zwar gemeinsam mit Basler Leckerli in der Stunde vor und nach dem Jahreswechsel.

Im Mittelter ist der Hypocras wegen der damals sehr teuren Zutaten ein Getränk, das nur an den Höfen von Königen und reichen Adligen verköstigt wird. Apotheker stellen ihn her, denn sie haben Zugang zu den benötigten Gewürzen. Apropos: Seit jeher ist eine Weltreise nötig, um die Basiszutaten wie Zimt und Gewürznelken herbeizuschaffen. Die nächsten Stationen der kulinarischen Reise sind entsprechend Sri Lanka (das ehemalige Ceylon) und die Gewürzinseln . . .

Station 5: Sri Lanka. Zimt gehört zu den ältesten Gewürzen der Menschen. Der immergrüne Zeylonzimtbaum (Cinnamomum zeylanicum) ist etwa zehn bis zwölf Meter hoch und liefert den echten, feinaromatischen Ceylon-Zimt. All seine Teile enthalten das den Duft und Geschmack bestimmende ätherische Zimtöl.

Zur Gewinnung der Zimtrinde werden etwa zweijährige Bäumchen abgeschlagen und durch einen Längs- und Rundschnitt entrindet. Die zarten, inneren Rindenschichten enthalten den stärksten Zimtgehalt. Dieser „Kaneel“ rollt sich von zwei Seiten ein und erhält während der Trocknung die charakteristische rotbraune Farbe, die wir kennen.

Station 6: Gewürzinseln. Auf den Molukken (Gewürzinseln) ist der Gewürznelken-Baum (Syzygium aromaticum) aus der Familie der Myrtengewächse beheimatet, und auch heute kommen die weltweit besten Gewürznelken hierher. Die Bezeichnung „Gewürznelke“ (niederdeutsch: Negelkin) beschreibt die an Nägel erinnernde Form der Knospen. Diese werden vor dem Erblühen gepflückt und verlieren beim Trocknen drei Viertel ihres Gewichts. Wenn man gegen ihren Stängel drückt, sondern frische Nelken etwas Öl ab, das etwa 15 Prozent der Knospenmasse ausmacht. Es besteht zum Großteil aus betäubend wirkenden Eugenol. Das Kauen von Gewürznelken kann deshalb bei Zahnschmerzen helfen.

Haben Sie Ihre Vorliebe für Glühweingewürze entdeckt? Dann begeben Sie sich doch in die Heimatländer von Zitronatzitrone, Sternanis, Kardamom, Piment, Muskat, Ingwer, Vanille und Koriandersaat. Oder Sie beenden diesen Ausflug und gehen auf dem kürzesten Weg zum Weihnachtsmarkt, Glühwein trinken!

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zuletzt bearbeitet am 31.XII.2016