20. April 2017

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Eine Kunst: Die Zeichen der Pflanzen lesen und ihre Heilwirkung nutzen

Karl Josef Strank

Schon immer nutzten die Menschen die Heilwirkung der Pflanzen. Das Wissen darüber beruhte auf dem Ausprobieren und den Erfahrungen, die Schamanen, Priester, Medizinmänner und -frauen darüber sammelten. Umfangreiche Kenntnisse hatten auch die alten Ägypter, die zur Ermittlung der Heilwirkungen auf die Lehre von den Signaturen zurückgriffen. Diese besagt in Kürze, dass Heilpflanzen Kennzeichen, also Signaturen, tragen, die verraten, welche Krankheiten sie heilen. Die alte und lange bekannte Lehre schrieb erst Paracelsus im Detail auf und machte sie umfassend bekannt.

Die Lehre von den Signaturen fügt sich nahtlos ein in das mittelalterliche Weltbild, in dem der Mikrokosmos mit dem Makrokosmos korrespondiert. Sterne und Planeten beeinflussen das Leben auf der Erde. Im Himmel wirken die gleichen Prinzipien wie im Pflanzenreich und beim Menschen. Dahinter steht der Glaube an den allwissenden Schöpfer, der alles so wunderbar gefügt hat. Wenn Gott den Menschen Krankheiten schon nicht erspart, so hält er doch die Heilmittel bereit, die in den Pflanzen zu finden sind. Kennzeichen, wozu sie dem Menschen von Nutzen sein können, sind diesen mitgegeben. Der Mensch muss nur lernen, diese Zeichen auch zu erkennen.

Das Schöllkraut ist jetzt im Frühling mit seinen gelben Blüten überall am Wegesrand und in Gebüschen zu finden. Die grünen, unterseits blaugrünen Blätter sind gefiedert mit ovalen, unregelmäßig gelappten Abschnitten. Kennzeichnend ist der orangegelbe Milchsaft der Pflanzen. Diese Signatur veranlasste die Menschen, das Schöllkraut gegen die Gelbsucht zu verwenden. Die Pflanze enthält etwa 30 Alkaloide, in der Hauptsache Coptisin, Chelidonin, Berberin, Protopin und Eiweiß spaltende Enzyme. Noch heute werden die Wurzeln in der Homöopathie bei Leber- und Gallenleiden eingesetzt. Der orangegelbe Saft wird in der Volksmedizin zum Betupfen von Warzen verwendet. Die Wirkung führt man auf die zellteilungshemmende Wirkung des Chelidonins und auf die eiweißspaltenden Enzyme zurück. Die Giftigkeit des Schöllkrautes wird unterschiedlich bewertet und das Trinken von Schöllkrauttee wird heute wegen leberschädigender Wirkung nicht mehr empfohlen.

Die Braunwurz hat Wurzeln mit knotenförmigen Verdickungen. Wegen dieser Signatur schrieb man der Pflanze eine Heilwirkung auf die Lymphgefäße zu. Scrophulae, Lymphdrüsenschwellungen am Hals, wurden damit behandelt. Noch heute ist die Braunwurz Bestandteil von Präparaten, die eine wohltuende Wirkung auf das Lymphsystem haben.

Die Herbstzeitlose hat eine unförmige Zwiebel, die Ähnlichkeiten zeigt mit einer gichtkranken Zehe. Bei akuten Gichtanfällen wird sie als Medikament verabreicht. Ihre Wirksamkeit wurde durch die moderne Medizin bestätigt.

Die Walnuss hat eine geradezu ins Auge springende Signatur. Nach Öffnen der harten Schale werden zwei Keimblätter des Samens sichtbar, die in ihrer Gestalt verblüffend an das menschliche Gehirn mit seinen Windungen erinnern. Dass die Walnuss gegen Kopfschmerzen hilft, lag auf der Hand. Darüber hinaus sollte der Verzehr die Hirnleistung steigern, was aber wissenschaftlich nicht erhärtet werden konnte. Noch heute werden Wal- und andere Nüsse mit Rosinen als Knabberei unter dem Namen „Studentenfutter“ angeboten, weil diese besonders viel derartige Nahrung für das Hirn brauchen können.

Der Augentrost trägt augenähnliche Blüten. Sie signalisieren, die Pflanze bei Bindehaut- und Lidrandentzündungen wirkungsvoll einzusetzen.

Die Signaturenlehre ist keine kausalanalytische, wissenschaftliche Methode zur Erforschung der Natur, sondern ein historisches, geistiges Konstrukt zur Interpretation der Natur. Da die mittelalterlichen Ärzte aus altem Erfahrungswissen die nachgewiesene Heilwirkung vieler Pflanzen kannten, versuchten sie diese durch eine entsprechende Signatur zu bestätigen. Sie war daher eher ein Memory, mit dem über die Signatur Krankheit und Heilpflanze „memoriert“ wurden.

voriger Artikel ← | → nächster Artikel

Auswahl nach Erscheinungsdatum

Auswahl nach Themenstichwort

Startseite

zuletzt bearbeitet am 13.VII.2017