8. Juni 2017
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Unter Katzen sehr beliebt, unter Menschen nicht unbedingt: der Echte Baldrian
Karl Josef Strank
In unseren Gärten blüht jetzt von Juni bis in den August hinein der Echte Baldrian, Valeriana officinalis, und verströmt seinen charakteristischen Duft. Wenn er einmal im Garten ist, findet er immer aufs Neue ein Plätzchen, wo er sich ansiedelt und neu keimt, falls er nicht dem Ordnungssinn anheimfällt, als Unkraut angesehen und gejätet wird. Die starke Ausbreitung ist auf die Samen zurückzuführen, Nüsschen, denen der zu einer Federkrone auswachsende Kelchsaum aufsitzt, der als Flugorgan für den typischen Pusteblumen-Effekt sorgt.
Baldrian ist mehrjährig und wächst mit einem kurzen Wurzelstock, der normalerweise kleine Ausläufer treibt. Je nach Standort wird er 0,5 bis 1,5 Meter hoch mit mehreren gefurchten, hohlen Stängeln, an denen die gegenständigen, unpaarig gefiederten Blätter sitzen. Diese bestehen aus fünf bis elf Fiederpaaren, die lanzettlich sind und deren untere am Rand eine feine Zähnung aufweisen. Die Blüten sind klein, zahlreich, weiß bis hellrot und stehen doldenartig aggregiert. Mehrere dieser Dolden sind gabelig an den Stängelspitzen angeordnet. Der Kelch ist anfangs unscheinbar, bevor er zum Flugorgan auswächst. Die Krone ist fünflappig, röhrig verwachsen, unregelmäßig bis schwach zygomorph ausgebildet. Drei Staubblätter ragen aus der Krone hervor, der Stempel ist dreinarbig. Kurzrüsselige Insekten erreichen den Nektar. Selbstbestäubung wird vermieden, weil die Staubbeutel vor den Narbenästen reifen.
Die Blüten duften eigenartig, nicht unangenehm, vielleicht ein bisschen muffig. Nicht jeder mag das und einige empfinden den Duft als regelrecht eklig, Katzen stehen aber drauf. In seiner Gegenwart verhalten sie sich eigenartig, fallen mitunter in lustvolle Ekstase, was wiederum den Ruf des Baldrians nicht gerade verbessert hat. Daher wird der Baldrian auch als Katzenkraut oder Katzenwurzel bezeichnet.
Verbreitet ist der Baldrian in Europa und den gemäßigten Zonen Asiens. Feuchte Waldwiesen, Ufergebüsche, Gräben, aber auch trockene Abhänge sind sein Lebensraum. Die Pflanze wird aber auch in Kultur angebaut. Mitte des vorigen Jahrhunderts geschah das in großen Mengen in Thüringen und Nordbayern. Die Vermehrung erfolgte über Samen oder durch Teilung des Wurzelstocks. Geerntet wurden die Wurzeln im zweiten Jahr. Wegen der großen Nachfrage nach der Droge ist der Anbau seinerzeit sehr empfohlen worden, was wiederum mit den Inhaltsstoffen und den Heilwirkungen des Baldrians zu erklären ist.
Schon die Ärzte des Altertums kannten den Baldrian und verwendeten ihn als harntreibendes und menstruationsförderndes Mittel. Später wurde er gegen Würmer verordnet, galt als Aphrodisiakum und schließlich sogar als eine Art Wundermittel gegen die Pest wie ein altenglischer Spruch nahelegt: „Trinkt Baldrian und ihr kommt alle davon.“
Baldrian wirkt schmerzlindernd, krampflösend, beruhigend bei überanstrengten und nervösen Augen, bei psychischen Erregungszuständen und Schlaflosigkeit. Baldrian als Beruhigungsmittel heute die Hauptanwendung wurde erst spät erkannt.
Wohl wegen des mitunter als streng empfundenen Geruchs galt der Baldrian schließlich auch als Dämonen und Hexen abwehrendes Mittel. In Hessen erzählte man: „Kommt die Hexe in den Stall und bemerkt hier Baldrian und Dost, so spricht sie für sich, ‚Baldrian und Dost, das hab ich nicht gewoßt.‘“
Im biologischen Gartenbau findet Baldrianblütenextrakt ebenfalls Verwendung, denn mit dem Gießwasser an Blumen gegeben, löst er einen üppigen Blühimpuls aus, der bei den Anwendern regelrechte Begeisterungsstürme entfacht. Ein weiterer Hinweis auf die magischen Kräfte des Elfen- und Hexenkrauts.
Ein uneingeschränkt, äußerst angenehmes Dufterlebnis bietet im Gegensatz zu unserem Echten Baldrian der Indische Nardenbaldrian, Nardostachys jatamansi, der im Himalaya zu Hause ist. Er liefert das wertvolle Nardenöl, das im Hohelied des Alten Testamentes die geschmückte und vollendete Seele symbolisiert und im Mittelalter mit der Gottesmutter Maria gleichgesetzt wurde. Mit einer Salbe aus wohlriechendem Nardenöl massierte nach dem Johannes-Evangelium Maria Magdalena Jesus die Füße.
zuletzt bearbeitet am 23.VII.2017