12. Juli 2018
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Uralt und wunderschön blau - der Gemeine Lein
Astrid von Reis
So ein schönes Wetter da fährt man gerne mal „ins Blaue“. Man sollte meinen, der blaue Himmel ist gemeint. Doch dieser Ausspruch kommt aus der Zeit, als der Gemeine Lein (Linum usitatissimum) aus der Familie der Leingewächse (Linaceae) vor allem auch im Osten Deutschlands auf riesigen Feldern angebaut wurde. Zwischen Juni und August, zur Hauptblütezeit, konnte man in ein Meer von zarten blauen Blüten „eintauchen“. Vor allem vormittags, wenn die meisten der fünfzähligen, zwei bis drei Zentimeter großen und in rispenartigen Wickeln stehenden Blüten geöffnet sind ein berauschender Anblick, der unsere Vorfahren lockte.
Diese alte, einjährige Kulturpflanze mit den schmalen, lanzettlichen Blättern wurde und wird seit Jahrtausenden überall auf der Welt angebaut und war ‚allergebräuchlichst’ wie der lateinische Artname ‚usitatissimum’ anzeigt. Verwendet werden ihre Fasern und Samen. Es gibt heute bis zu 200 Sorten, die je nach vornehmlicher Nutzung in Faser- oder Ölleine unterschieden werden. Faserleine können bis zu 1,5 Meter hoch werden. Genetische Studien haben ergeben, dass der Gemeine Lein vom Wild-Lein (Linum bienne) abstammt, der im Mittelmeergebiet zu Hause ist. Er wurde bereits 7500 v. Chr. in Mesopotamien kultiviert, wobei zunächst die Gewinnung der ölhaltigen braunen Leinsamen aus den rundlichen, bis ein Zentimeter großen, fünffächrigen Kapseln bedeutend war. Funde von Leinenstoffen gibt es erst aus der Zeit von 4000 v. Chr. Sie stammen aus Oberägypthen. Ungefähr in dieser Zeit gelangte der Lein auch nach Mitteleuropa und seine Namen zeigen, wie bedeutsam die Fasern wurden: Linum bedeutet Faser und Lein (vom keltischen ‚lin’) heißt Faden. Sie werden gewonnen aus der Rindenschicht der Stängel, in denen als Festigungsgewebe 20 bis 50 Bastfaserbündel eingebettet sind. Bis heute zu waren viele Verarbeitungsschritte nötig, bis aus dem Flachs (von ‚flechten’) Garn gesponnen werden konnte, aus welchem dann Mumienbinden, Kleider, Drillichhosen, edle Roben, Segel, Bett- und Tischwäsche (kostbares Linnen), usw. gefertigt wurden.
Bis zum Siegeszug der billigeren und leichter zu verarbeitenden Baumwolle zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Lein die bedeutendste europäische Pflanze für Textilien mit einem Marktanteil von 18 Prozent. Dann kam der Einbruch.
Haben Sie auch das „Volkslied“ die ‚Leineweber haben eine saubere Zunft‘ gesungen und mit voller Begeisterung bei den wortmalerischen (Unsinns-) Phrasen wie „Harum didscharum di schrum, schrum, schrum“ und „allewalle, puff, puff, puff“ mit den Füßen aufgestampft? 1833 ist die ‚Schnurre’ entstanden. Jetzt bei der Recherche zu diesem Artikel wird mir erst klar, was ich da mit gesungen habe: Ein Spottgesang ist es, der die sozial und ökonomisch schwer gebeutelten Leineweber verhöhnte und damit wenig gesellschaftliche Empathie gezeigt wurde.
Heute liegt der Marktanteil von Leinen bei unter einem Prozent obwohl die Nachfrage seit der Ökologiebewegung wieder etwas angestiegen ist. Faserlein wird in Europa heute hauptsächlich in Frankreich, Belgien und England angebaut.
„Gandhi sagte: ‚Wenn Leinsamen Volksnahrungsmittel wären, würden die Menschen gesünder sein’“. Mit dieser Aussage steht er nicht alleine da: Von Urzeiten bis heute gilt Leinsamen als Kraftnahrung, Öllieferant und eben als Gesunderhalter. Leinsamen ist reich an essenziellen Fettsäuren (einschließlich der wertvollen Omega-3-Fettsäuren), Proteinen, Mineral-, Ballast- und Schleimstoffen letztgenannte sind bekannt hinsichtlich der wohltuenden Wirkung auf Magen und Darm.
Neben dem Leinöl als Speiseöl wird das Öl in der Industrie für die Herstellung von Farben, Lacken, Linoleum, Kosmetika, Pflegemitteln usw. genutzt. Die Presslinge, noch reich an Proteinen, werden als Tierfutter verwendet. Hauptanbaugebiete von Öllein liegen in Kanada und China, Großbritannien und Frankreich liegen auf Platz acht und neun. Da in Deutschland nur noch auf gerade 30 Hektar Lein angebaut wird, müssen die meisten von uns leider etwas weiter fahren um „ins Blaue“ zu kommen.
zuletzt bearbeitet am 26.VII.2018