29. Nov. 2018
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Wildgänse am Niederrhein bieten ein faszinierendes Schauspiel
Ruth Gestrich-Schmitz
Das oft sonnige Wetter lädt dazu ein, bei einem Spaziergang die herbstliche Natur zu genießen. Dabei hört man manchmal ein heftiges Geschnatter, und wenn man gen Himmel blickt, ziehen dort entweder Kraniche oder Wildgänse auf dem Flug zu ihren Winterquartieren über unsere Köpfe hinweg. Manch einen erinnert das an den Roman „Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“ von Selma Lagerlöf. Die Vögel bilden dabei meist eine Keilformation, die ihnen hilft Energie zu sparen, indem sie den Windschatten des „Vordermannes“ nutzen. Unterscheiden kann man Kraniche und Wildgänse unter anderem daran, dass Kraniche deutlich größer sind und weniger Flügelschläge ausführen. Sie nutzen aufsteigende Winde, um sich nach oben zu schrauben, was man bei Wildgänsen nicht beobachten kann. Diese fliegen eher niedriger und schnattern, quäken oder quieken, während die Kraniche eher ein „erhabenes“ Trompeten („krru“ „krarr“ im Wechsel) von sich geben.
Ende August begeben sich die Wildgänse von ihren sibirischen und nordskandinavischen Brutgebieten auf eine rund sechstausend Kilometer weite Reise zu ihren Winterquartieren bis nach Ostfriesland und an den Niederrhein. Ab November bevölkern bis zu einhundertachtzigtausend Blässgänse (Anser albifrons) und Saatgänse (Anser fabalis) die saftigen Wiesen und Weiden am Niederrhein. Hier finden die Tiere viel Raum mit genügend Nahrung und ein reiches Angebot von Gewässern. Wildgänse sind Pflanzenfresser und ernähren sich hier vor allem von Gras, gerne auch von Ernteresten auf abgeernteten Mais- und Zuckerrübenfeldern. Da die pflanzliche Nahrung wenig Energie enthält und schnell vom Körper verwertet wird, müssen Gänse sehr viel fressen. Deshalb sind sie gezwungen, während ihrer Reise bis zu zweiwöchige Zwischenstopps einzulegen, um ihre Fettreserven wieder aufzufüllen. Fliegen sie mit Rückenwind, sparen sie wertvolle Energie und gelangen so früher ans Ziel. Am Niederrhein angekommen, können sie nach Herzenslust schlemmen ohne gejagt zu werden, denn in NRW ist die Jagd auf arktische Gänse verboten. Selbst Landwirte dürfen nicht gegen sie vorgehen, wenn die Wildgänse sich über das Wintergetreide hermachen. Sie können vom Land NRW für Schäden einen finanziellen Ausgleich bekommen. Abends begeben sich die Wildgänse zum Schlafen aufs Wasser, wo sie vor Füchsen und anderen Bodenfeinden geschützt sind. Ab Ende Februar machen sich die Wildgänse wieder auf den Rückweg in ihre Brutgebiete. Gänse führen in der Regel eine lebenslange Dauerbeziehung. Das hat den Vorteil, dass keine Zeit für Balzzeremonien verloren geht, denn die Eis- und Schnee-freie Zeit in den arktischen Gebieten lässt nur wenig Zeit für eine erfolgreiche Brut. Vier Wochen nach der Eiablage schlüpfen die Küken. Ihnen bleiben sechs Wochen Zeit, flügge zu werden, um sich dann zusammen mit den Eltern auf den Weg ins Winterquartier zu begeben. Die Flugroute und das Ziel lernen die Jungvögel von ihren Eltern, sie sind nicht genetisch festgelegt.
„Das faszinierende Schauspiel tausender einfallender Blässgänse gehört mit zu den stärksten Natureindrücken am Niederrhein“, schreibt die NABU-Station Niederrhein und lädt alle Naturbegeisterten von Mitte November bis Ende Februar zur „Gänsesafari“ ein. Auch andere Organisationen wie die Biologische Station im Kreis Wesel und das Naturschutzzentrum im Kreis Kleve bieten Gänse-Exkursionen zu den Futter- und Schlafplätzen an. Wichtig ist den Veranstaltern dabei, dass die Gänse nicht gestört werden, denn Aufschrecken und damit verbundenes Auffliegen kosten die scheuen Tiere nur unnötig Energie. Neben den arktischen können dort auch andere Wildgänse wie heimische Graugänse oder seltenere Arten wie Weißwangengänse beobachtet werden.
zuletzt bearbeitet am 27.XII..2018