24. Jan. 2019
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Haareis - ein kaum verstandenes Naturschauspiel
Joachim Schmitz
Im Winter kann man mit Glück auf Totholz von Laubbäumen eine sonderbare Form von Eis finden. Es besteht aus ganz dünnen Fäden, die an morschem Holz austreten und bis 20cm lang werden können. Die Fäden stehen dicht zusammen und sind hochgeordnet, meist auffällig parallel, so dass tatsächlich der Eindruck von Haarsträhnen, manchmal sogar richtigen Locken entsteht.
Haareis kann man nicht künstlich herstellen. Man kann aber gesammelte Holzstücke, auf denen Haareis gefunden wurde, im Labor wieder dazu bringen, neues Haareis zu produzieren. Daher weiß man, dass Haareis Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt und hohe Luftfeuchtigkeit braucht. Unter diesen Bedingungen kann es etliche Stunden lang stabil bleiben. Bei Wind oder zu trockener Luft kommt es sofort zur Sublimation, d. h. das Eis schmilzt nicht sondern wird direkt zu gasförmigem Wasserdampf. Die Fähigkeit von Eis, ohne den Umweg über flüssiges Wasser direkt als Wasserdampf von der Luft aufgenommen zu werden, ist übrigens auch der Grund, warum z. B. Eiszapfen auch dann kleiner werden, wenn die Temperatur nicht über den Gefrierpunkt steigt.
Schneidet man einen Stamm quer, sieht man, dass Haareis über den Markstrahlen entsteht. Markstrahlen sind Dünnstellen im Holz, die beim lebenden Baum für die Belüftung des Gewebes im Holz dienen. Im Markstrahl des toten Stamms ist das Wasser noch flüssig, gefriert aber beim Austritt sofort zu den feinen Härchen.
Der berühmte Polarforscher Alfred Wegener, der heute mehr wegen der Entdeckung der Kontinentalverschiebung bekannt ist, hat das Phänomen 1918 wissenschaftlich beschrieben und damals zum ersten Mal vermutet, dass an der Bildung von Haareis Fäulnispilze im Holz beteiligt sind. Dies wird durch die Beobachtung bestätigt, dass Haareis nur im Zusammenhang mit Weißfäule auftritt. Weißfäule ist eine Zersetzungsform von Holz, bei der vor allem das Lignin abgebaut wird, das für die Festigkeit und die Farbe des Holzes sorgt. Übrig bleibt weißer Zellstoff, daher der Name Weißfäule. Weißfäule wird von zahlreichen Pilzen verursacht, die sich durch die Verdauung von Lignin eine konkurrenzarme Nahrungsquelle erschlossen haben.
Erst mit moderneren Analysemethoden ist man dem Haareis etwas nähergekommen. Mit chemischen Analysen hat man im Haareis u. a. Kohlenstoff und Stickstoff nachweisen können, die offensichtlich aus organischen Verbindungen stammen. Höchstwahrscheinlich stammen diese aus der Zersetzung von Lignin, also dem Holz, durch Fäulnispilze. Anscheinend bewirken diese Stoffe die ungewöhnliche Stabilität von Haareis, die stunden-, manchmal sogar tagelang anhält. Es ist allerdings noch nicht gelungen, konkrete einzelne Stoffe nachzuweisen, die das bewirken könnten.
In jüngster Zeit ist man auch dem verantwortlichen Pilz auf die Spur gekommen. Man hat in Holzproben alle Fäulnispilze bestimmt und herausgefunden, dass es nur einen Pilz gibt, der in allen Proben vorkam. Das war Exidiopsis effusa, deutsch „Rosa Wachskruste“. Der deutsche Name bezieht sich darauf, dass dieser Pilz keine Fruchtkörper aus Stiel und Hut bildet, wie man das von den geläufigen Speisepilzen kennt, sondern einfach nur eine rosa-weiße Kruste auf dem befallenen Holzstück macht. Wenn er gerade keine Fruchtkörper ausbildet, sieht man aber von dem Pilz gar nichts. Man erkennt eben nur an der Weißfäule, dass hier ein Pilz an der Arbeit ist.
Haareis im Nationalpark Eifel
zuletzt bearbeitet am 2..II..2019