18. April 2019
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Das Hungerblümchen fastet das ganze Jahr über
Astrid von Reis
Noch ein paar Tage und die Fastenzeit ist vorbei. Da wird es Zeit, über ganz bestimmte Pflanzen zu berichten, die das Fasten oder Hungern sogar im Namen tragen: die Hungerblümchen (Draba subgen. Erophila). Die Gattung ist in unserem Raum mit etwa drei Arten vertreten, beispielsweise Draba verna, das Frühlings-Hungerblümchen.
Bedeutet Fastenzeit bei Christen in der Zeit von Aschermittwoch bis Ostern auf Fleisch zu verzichten oder sich an selbst gewählte Auflagen zu halten wie beispielsweise Verzicht auf Alkohol, Chips, Süßigkeiten, Fernsehen und Flugreisen, gehört dies bei den Hungerblümchen zum Alltagsprogramm sie sind sehr genügsam.
Das fängt an bei dem Boden und dem Wasserangebot, mit dem sich diese Pflanzen begnügen. Es sind regelrechte Magerkeits- und Trockenheitszeiger. Sie kommen natürlich auf Felsen und in Trocken- und Magerrasen in Europa und Asien vor, nach Nordamerika wurden sie eingeschleppt. Durch ihre anspruchlose Lebensweise konnten sie auch in Städten Bereiche für sich einnehmen, wo nur die wenigsten Pflanzen gedeihen können. Sie sind zu finden in Pflasterritzen, an Bahngleisen, auf Schotterflächen und offenen Rohböden wie Brachen, an Straßenrändern, in mageren Rasen von Sportplätzen und Friedhöfen. Allerdings nur dort, wo keine Herbizide gespritzt wurden, denn dies verkraftet auch ein Überlebenskünstler nicht.
Genügsam sind Hungerblümchen auch in Hinblick auf die Jahreszeit in der sie leben. Im Vorfrühling, wenn Winterlinge, Schneeglöckchen und Krokusse ihre Blüten und Blätter durch den Schnee schieben, fangen auch die Hüngerblümchen an zu blühen. Haben die erstgenannten als Geophyten mit ihren Speicherorganen die Möglichkeit dem Winter früh zu trotzen, hat das Hungerblümchen eine andere „Taktik“ entwickelt. Es gehört zu den Winterannuellen, das heißt zu den einjährig überwinternden Pflanzen, die im Herbst keimen und in der folgenden Vegetationsperiode blühen. Im Fall des Hungerblümchens überwintert die Pflanze als eine im Durchmesser maximal zwei Zentimeter große Blattrosette mit eiförmigen, leicht gezähnten, behaarten Blättern.
Locken die ersten Sonnenstrahlen, wachsen schnell aus der Rosette bis zu etwa zehn Zentimeter lange Stängel mit locker traubig-stehenden weißen und etwa fünf Millimeter langen Blüten. Hungerblümchen gehören zur Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae) und haben vier Kronblätter, die allerdings jeweils tief eingeschnitten sind, woraufhin sie gut zu bestimmen sind. Je nach Standort, beispielsweise auf kahlen Rohböden, können die Pflanzen zu Tausenden nebeneinander stehen und verwandeln in der Blütezeit die Böden in weiße Teppiche. Erste Insekten wie Wildbienen freuen sich über das frühe Nektarangebot. Doch in der Regel findet die Befruchtung über Selbstbestäubung statt, da so früh im Jahr noch nicht so viele Tiere unterwegs sind.
Schnell entwickeln sich die Früchte, breit-elliptische Schötchen, die bis ein Zentimeter lang werden können. Die kleinen runden Samen werden nach der Fruchtreife durch den Wind herausgeschleudert und überdauern dann die ungünstige Jahreszeit bis zum Herbst im Boden, die krautige Pflanze vertrocknet schnell. Sie zählen damit zu den sogenannten Therophyten, sind also auch genügsam hinsichtlich ihrer kurzen Lebenszeit.
Wer noch Hungerblümchen sehen will, sollte in schattigen oder höheren Lagen suchen. So sind sie in Aachen meist nur noch an den trockenen Scheidewänden der Schötchen zu erkennen, die Blattrosetten mit den kurzen Wurzeln sind bereits am verwelken.
Bevor neuere genetische Untersuchungen zeigten, dass die Hungerblümchen botanisch der Gattung Draba, den Felsenblümchen zuzuordnen sind, gehörten sie zu der Gattung Erophila (dies ist griechisch und bedeutet frühlingsliebend). Der deutsche Name hat sich gehalten, genauso wie in manchen Regionen die Bezeichnungen Kummerblume, Darbe oder Sorge. Der Boden, mit dem sie sich begnügt, ist fürwahr ein Hungerboden.
zuletzt bearbeitet am 18.V.2019