23. Mai 2019

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die Glatthaferwiese - Pflanzengesellschaft des Jahres

 Joachim Schmitz

 

Aus allen möglichen Organismengruppen gibt es inzwischen eine Art des Jahres, die dann auch mehr oder weniger publikumswirksam der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Heutzutage gibt es kaum noch Arten, die durch gezielte Nachstellung gefährdet sind. Die Narzissen der Eifel waren eines der wenigen Beispiele. Viel typischer ist, dass Arten nicht einzeln sondern durch Gefährdung ihres ganzen Lebensraums bedroht sind. Genau damit beschäftigt sich die Floristisch-soziologische Arbeitsgemeinschaft, ein Zusammenschluss von klassischen Botanikern und Pflanzenökologen. Deshalb hat die Arbeitsgemeinschaft in diesem Jahr zum ersten Mal eine Pflanzengesellschaft des Jahres ausgerufen.

Pflanzengesellschaften sind Gruppen von Pflanzen, die in einer bestimmten Kombination von Arten immer wieder auftreten und so ein Biotop charakterisieren können. Genau wie Arten erhalten sie einen wissenschaftlichen Namen, der nach einem internationalen Code gültig beschrieben und veröffentlicht sein muss. So heißt die Glatthaferwiese wissenschaftlich Arrhenatheretum elatioris.


                                                      Der hohe Wiesen-Pippau dominiert diese bunte Wiese

Der Name ist von dem beherrschenden Gras Glatthafer (Arrhenatherum elatius) abgeleitet. Die Glatthaferwiese ist die sprichwörtliche bunte Blumenwiese, die die älteren vielleicht noch aus ihrer Kindheit oder aus alten Heimatfilmen kennen. Hier blühen Hahnenfuß (Ranunculus spec.) und Schlüsselblume (Primula veris), Wiesen-Margerite (Leucanthemum ircutianum), mehrere Glockenblumen-Arten (Campanula spec.), Wiesen-Salbei (Salvia pratensis), Wiesen-Flockenblume (Centaurea jacea), mehrere gelbköpfige Korbblütler wie Wiesen-Pippau (Crepis biennis) und noch viel mehr. Dass so viele Arten die Wiese im Namen tragen, unterstreicht, dass die Glatthaferwiese einmal die typische Wiese Mitteleuropas war.

Sie ist eine zweischürige Heuwiese, d.h. sie wird nicht beweidet, sondern zweimal im Jahr gemäht und das Schnittgut zu Heu getrocknet. Der erste Schnitt, die Mahd, erfolgt im Frühsommer, in Süddeutschland traditionell zu Johanni (24. Juni). Der zweite Schritt, regional Öhmd oder Grummet genannt, folgt im Spätsommer. Die Glatthaferwiese ist die Wiese des Flach- und Hügellands. In höheren Mittelgebirgslagen wird sie durch verwandte Gesellschaften abgelöst. Z.B. gehören die berühmten Narzissenwiesen dazu (die korrekt eigentlich Waldstorchschnabel-Goldhafer-Wiese heißen).

Mit der Einführung der Silage begann der Niedergang der Heuwiesen. Hierbei wird frischer Schnitt durch einen Gärungsprozess in Viehfutter verwandelt. Das geht viel schneller als das Heumachen und so kann man die Wiese häufiger (bis zu sechsmal im Jahr!) mähen und, unterstützt durch intensiveres Düngen, den Ertrag erheblich steigern. Als erstes verschwinden dadurch die höherwüchsigen Wiesenblumen. Durch häufiges Mähen und Düngen geht die Artenvielfalt drastisch zurück. Übrig bleiben nur wenige, besonders konkurrenzstarke Arten. Die moderne Güllewirtschaft hat den Blumenwiesen dann endgültig den Rest gegeben. Übrigens wird Silage nicht nur als Viehfutter sondern auch zur Erzeugung von „Bio“gas genutzt.

Die Glatthaferwiese ist ein weiteres Beispiel für eine Lebensgemeinschaft, die Laien ob ihrer Buntheit und Artenvielfalt für den Ausbund von Natur halten. Tatsächlich handelt es sich aber um ein Kulturrelikt, das durch traditionelle Landwirtschaft entstanden ist. In der kommerziellen Landwirtschaft ist diese Bewirtschaftungsform ausgestorben – so könnte heute kein Bauer überleben. Noch relativ häufig findet man ähnliche Artenkombinationen als Folgestadium vernachlässigter Magerrasen. Die werden aber sehr schnell verbuschen. Das Mittel der Wahl zur Erhaltung der Glatthaferwiese ist die Vertragslandwirtschaft, dass also Landwirte auf geeigneten Flächen gegen eine entsprechende Entschädigung die traditionelle Bewirtschaftung weiterführen.

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zuletzt bearbeitet am 10.VIII.2019