6. Juni 2019
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Wer braucht schon Soja, wenn er die „Dicke Bohne“ hat?
Christina Paulsson
Der „Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt“ mit Sitz im hessischen Witzenhausen wählte vor genau 20 Jahren die Ackerbohne (Vicia faba) zum „Gemüse des Jahres“. Entscheidend für diese Auswahl sind die Gefährdung der Kulturpflanze, ihre Bedeutung sowie der Rückgang des Anbaus. Die Ackerbohne, auch Saubohne oder Dicke Bohne genannt, ist eine Hülsenfrucht (Leguminose) und war im Mittelalter eines der wichtigsten Nahrungsmittel. Neben anderen Hülsenfrüchten wie Linse und Erbse stellte sie die Versorgung der Menschen mit Proteinen sicher, da man es sich nur selten leisten konnte, Fleisch zu essen. In dieser Zeit tauchte erstmals die großsamige Varietät auf, die bis heute verbreitet ist. Außerdem war sie früher Bestandteil der landwirtschaftlichen Fruchtfolgen, da ihre Wurzeln mit den Knöllchenbakterien der Pflanze eine Symbiose eingehen. Hierbei wird der Luftstickstoff gebunden und somit einerseits eine natürliche Düngung des Bodens und andererseits die Versorgung der Feldfrucht für ihre Eiweißbildung gewährleistet. Mit ihrem ausgedehnten Wurzelsystem kann sie sich außerdem die im Boden vorhandenen, für die Pflanzengesundheit wichtigen Phosphatvorräte erschließen und in der Fruchtfolge die Infektionszyklen von Getreidekrankheiten unterbrechen. Insgesamt verbessert die Pflanze die Humusbildung.
Wie man aus archäologischen Funden in Israel schließt, waren frühe Formen der „Dicken Bohne“ gar nicht so dick wie heute. Aus dem Vorderen Orient soll die Ackerbohne ihren Siegeszug bis nach Mitteleuropa angetreten haben. In den ersten Jahrhunderten nach Christus entwickelte sich ein Anbauschwerpunkt an der Nordseeküste, weil sie als einzige Leguminose auf den salzigen Böden in Küstennähe gedeiht.
Seit dem 17. Jahrhundert ging der Anbau in Europa zurück, da sich die aus Amerika eingeführten „Echten Bohnen“ (Garten- und Feuerbohne aus der Gattung Phaseolus) zunehmender Beliebtheit erfreuten. In vielen Regionen Deutschlands diente die Ackerbohne seitdem fast nur noch als Tierfutter. Die Ausnahmen sind Westfalen, das Rheinland und Norddeutschland, wo die „Dicke Bohne“ bis heute in den Erntemonaten der noch grünen Hülsen mit ihren noch unreifen, weichen Kernen (Ende Mai bis Juni) gerne in Kombination mit Speck gegessen wird.
In jüngerer Zeit verdrängte das Importsoja die Ackerbohne als Eiweißlieferant jedoch nahezu vom deutschen Markt. Nach Zahlen des Verbands „Lebensmittel ohne Gentechnik“ importiert Deutschland pro Jahr 4,5 Millionen Tonnen Soja, den größten Teil davon verwenden Landwirte zur Mast von Nutztieren. Die meisten Sojabohnen kommen aus Südamerika, wo immer mehr Urwaldflächen Äckern weichen müssen mit unvorhersehbaren Folgen für das Weltklima. 82 Prozent des in Deutschland verbrauchten Sojas ist zudem gentechnisch verändert.
Das alles sind Gründe, weshalb sich 2017 in Linnich der Verein „Rheinische Ackerbohne“ gründete. Der Verein aus Landwirten, Verbänden, Institutionen und Förderern hat sich zum Ziel gesetzt, Erzeuger und Verbraucher von den Vorteilen der Ackerbohne zu überzeugen und den Anbau auszuweiten.
Als Konsequenz kam es in unserer Region zu einem erfolgreichen Comeback der Leguminose: Sie ist ein regionaler und gentechnikfreier Eiweißträger, der zudem die biologische Vielfalt auf den heimischen Feldern fördert. Denn wenn der einjährige Schmetterlingsblütler im Mai zart-violett zu blühen und duften beginnt, lockt er bis Ende Juni zahlreiche Bienen, Hummeln und Schmetterlinge auf die Feldflur.
Im August können die Landwirte die ausgereiften, braunen Hülsen mit den dann harten Kernen mit dem Mähdrescher ernten. Letztere kann man dann vermahlen und außer als Tierfutter auch für den menschlichen Genuss verwenden. In Zukunft könnte außerdem das in vielen Fertigprodukten enthaltene importierte Soja durch die heimische Ackerbohne ersetzt werden. Das bedeutet kurze Transportwege und den Verbleib der Wertschöpfungskette in der Region.
zuletzt bearbeitet am 10.VIII.2019