13. Juni 2019
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Hering das Silber der Meere und beliebt als Speisefisch
Ruth Gestrich-Schmitz
Jedes Jahr im späten Frühling freuen sich die Matjes-Liebhaber auf die neue Herings-Saison. Ab Mitte Juni gibt es ihn wieder, den besonders zarten, vor Erreichen der Geschlechtsreife verarbeiteten Hering. Nach Entfernen von Kopf und Innereien (außer der Bauchspeicheldrüse), reift er, nach einem in den Niederlanden im Mittelalter entwickelten Prozess, mittels fischeigener Enzyme aus der Bauchspeicheldrüse in einer Salzlake heran und erhält dabei seinen typischen Geschmack. Für den wahren Genuss enthält der Matjes mindestens achtzehn Prozent Fett und nicht mehr als drei Prozent Salz.
Die vom niederländischen Maagd (Jungfrau) abgeleitete Bezeichnung bedeutet so viel wie Mädchen- oder Jungfernhering. Die Matjes-Saison dauert etwa zwei Monate. Danach beginnt die Fortpflanzungszeit der Heringe. Die den Rest des Jahres gefangenen Fische erhalten dann mit Hilfe von zugesetzten Enzymen ihren milden Geschmack und werden als Hering nach Matjesart angeboten.
Zum Start der neuen Herings-Saison feiern verschiedene Städte in den Niederlanden und in Norddeutschland große Volksfeste. Am 15. Juni findet im niederländischen Scheveningen der Vlaggetjesdag (Flaggentag) statt, an dem der erste Fang eingebracht und das erste Fass für einen gemeinnützigen Zweck versteigert wird. Traditionell sind die Matjeskutter bei ihrer ersten Fahrt mit Flaggen geschmückt. Mit der Versteigerung des ersten Matjes-Fässchens auf dem Domhof wird in Bremen trditionell die Saison eröffnet. In Glückstadt und Emden, auch in Duisburg feiert man jedes Jahr Matjesfeste.
Der Atlantische Hering (Clupea harengus) gehört wie Sardinen, Sprotten und Sardellen zur Familie der Heringsfische (Clupeidae), kommt in Nord- und Ostsee sowie im gesamten Nordatlantik vor und lebt in bis zu 360 Metern Tiefe. Er wird in der Regel 20 bis 25, maximal 40 Zentimeter lang und wird wegen seiner silbrig glänzenden Flanken und des Auftretens in riesigen Schwärmen „Silber der Meere“ genannt. Heringe erreichen ihre Geschlechtsreife mit drei bis neun Jahren und können bis zu zwanzig Jahre alt werden. Die Fortpflanzung findet in Küstennähe statt: Dabei geben die Weibchen bis zu fünfzigtausend Eier ab, die Befruchtung durch die Männchen erfolgt im offenen Wasser. Die befruchteten Eier sinken auf den Grund und haften dort an Pflanzen und Steinen, bevor sie bei neun Grad Wassertemperatur nach zwei Wochen schlüpfen, bei höheren Temperaturen bereits früher.
Heringe ernähren sich von Plankton: Algen, kleine Krebstiere, Schnecken, Fischlarven. Sie selbst sind beliebtes Futter für größere Fische, Meeresvögel, Delphine, Robben und Wale und natürlich für den Menschen.
Seit der Jungsteinzeit steht der Hering auf dem Speiseplan des Menschen. Für die Hanse war der Atlantische Hering eines der wichtigsten Handelsgüter. Als eiweiß- und fettreiches Nahrungsmittel und Fastenspeise im Mittelalter, geräuchert oder eingelegt in Salzlake haltbar gemacht und somit als Nahrung für lange Schiffsreisen geeignet, war der Hering sehr begehrt und füllte als Exportschlager die Kassen der Hansestädte mit Gold und Silber. Mit Abnahme der Heringsschwärme in der Ostsee im 16.Jh. gewann die Heringsfischerei der Niederländer in der Nordsee massiv an Bedeutung. Im 19.Jh. avancierte der Hering neben Brot und Kartoffeln zum Grundnahrungsmittel vor allem der armen Bevölkerung. Der hohe Anteil von Jod, Fluor und Selen sowie der ungesättigten Omega-3-Fettsäuren machen den Hering zu einer gesunden Speise. Damit schaffte er es sogar auf Bismarcks Diätplan.
Nach massiven Rückgängen in der Nordsee durch Überfischung in den 1960er und 1970er Jahren sind durch zwischenzeitliche Fangverbote die Bestände wieder gestiegen, so dass der Atlantische Hering von dort zurzeit als nicht im Bestand gefährdet gilt. Anders als in der Ostsee. Für 2019 hat die EU die Heringsfangquote für die westliche Ostsee um 48 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesenkt. Die Fischer fürchten empfindliche Verluste, der Internationale Rat für Meeresforschung hatte sogar ein Fangverbot empfohlen. Eine Studie des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock sieht vor allem in der Klimaveränderung mit dem Anstieg der Wassertemperatur in der Ostsee die Ursache.
zuletzt bearbeitet am 10.VIII.2019