19. Sept. 2019
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Vergessene Färbepflanzen haben als Wildpflanzen überlebt
Joachim Schmitz
Bedingt durch die immer intensiveren Verkehrsströme, sicher auch begünstigt durch den Klimawandel, breiten sich bei uns immer mehr fremde Pflanzenarten aus. Diese Einschleppungen sind meist unbewusst und zufällig. Vor der industriellen Revolution waren es dagegen vor allem Nutzpflanzen, die eingeführt wurden und dann aus der Kultur verwilderten. Ein Beispiel sind Pflanzen, die früher zum Färben von Textilien verwendet wurden. Dabei sind sie oft weit über ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet hinaus gelangt. 1856 wurde mit dem Mauvein der erste künstliche Farbstoff erfunden. Danach sind nach und nach alle Färbepflanzen wirtschaftlich bedeutungslos geworden, aber als eingebürgerte Wildpflanzen gibt es sie heute noch.
Der Färber-Waid (Isatis tinctoria) kommt überall in Europa und darüber hinaus vor, stammt aber wohl aus den Steppengebieten um den Kaukasus und Innerasien. Der älteste Literaturbeleg für Europa findet sich in De Bello Gallico. Caesar berichtet darin von seinem Feldzug gegen die Britannier im Jahre 54 v. Chr. und schildert, dass sich diese die Körper mit Waid blau gefärbt hatten, um abschreckender zu erscheinen. Im Mittelalter wird die Art zuerst im Capitulare de Villis Karls des Großen erwähnt und zwar im Kapitel 43, wo es um Tuchherstellung und Färberei geht. Das ist nicht das Kapitel, auf dem die Artenzusammenstellung im Karlsgarten beruht! Im 17. Jhdt. verdrängte das aus Indien eingeführte Indigo den Waid als blauen Farbstoff für Textilien. Im Rheinland findet sich die Art heute noch häufig im Weinbauklima an steinigen Standorten, also im Mittelrheintal und seinen größeren Nebenflüssen. Der Kreuzblütler blüht im Frühjahr hellgelb, ist aber noch lange am großen Fruchtstand mit den ± elliptischen Schoten erkennbar.
Der Färber-Wau (Reseda luteola) wurde sogar schon in vorgeschichtlicher Zeit benutzt. In bronzezeitlichen Pfahlbauten an Schweizer Seen hat man Samen gefunden. Die Wolle wurde mit Chrom- oder Eisensalz vorbehandelt, was dann eine goldgelbe bzw. eine moosgrüne Färbung ergab. Die Farbe ist besonders licht- und waschecht.
Als ursprüngliche Verbreitung nimmt man ein Gebiet rund um das Mittelmeer an. Heute gilt die Art bei uns als einheimisch. Sie wächst auf steinigem Brachland in wärmebegünstigter Lage. Der Färber-Wau ist übrigens eng verwandt mit der Duft-Resede (Reseda odorata), die als Gartenpflanze heute etwas aus der Mode gekommen ist.
Auch bei der Färber-Hundskamille (Anthemis tinctoria) lässt sich kaum sicher sagen, welche Vorkommen in Mitteleuropa natürlich und welche Verwilderungen sind. Benutzt wurden die strahlendgelben Blütenköpfchen, um Wolle gelb zu färben. Ökologie und Verbreitung ähneln den beiden vorigen Arten. Da die Art oft in Saatmischungen für „wilde Blumenwiesen“ enthalten ist, findet man sie neuerdings häufig in Grünanlagen und Gärten.
Besonders kurios ist die Einbürgerung des Schlitzblättrigen Sonnenhuts (Rudbeckia laciniata) in Wuppertal. Der große Korbblütler wird wie andere Arten der Gattung als Zierpflanze gehalten und verwildert vereinzelt aus der Kultur. Im Tal der Wupper kommt er allerdings zahlreich vor. Unter Botanikern bekannt sind die großen Bestände am Stausee Beyenburg. Die Art ist selbst keine Färbepflanze; man vermutet aber, dass die Samen als Verunreinigung in Material von Färbepflanzen enthalten war, das von Tuchfärbereien aus Amerika importiert worden war. In Elberfeld, Barmen und anderen Orten, die erst viel später zur Stadt Wuppertal vereinigt wurden, gab es viele Tuchfärbereien. Da dabei regelmäßig aggressive Chemikalien zum Einsatz kamen, wurde die Wupper frühzeitig zu einer lebensfeindlichen Kloake. Trotzdem konnte sich der Schlitzblättrige Sonnenhut hier etablieren und behaupten. Selbst im völlig durch hohe Ufermauern gefassten Bereich der Wupper in der Innenstadt kann man unter der Schwebebahn im Hochsommer Sonnenhüte entdecken.
zuletzt bearbeitet am 1.I.2020