7. Mai 2020

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Rhabarber -– zart und köstlich anstatt sauer und bitter

 Karl Josef Strank

Den Engländern schreibt man ja so manche Eigenart zu, aber wer hätte gedacht, dass sie Rhabarber in stockdunklen, niedrigen Hallen wachsen lassen, wo doch jeder weiß, dass grüne Pflanzen, vor allem, wenn sie so große Blätter und dicke Stiele haben wie der Rhabarber, Licht brauchen.

Rhabarber überwintert mit einem Wurzelstock in der Erde und schiebt dann normalerweise zeitig im März die ersten Blätter ans Licht. Die großen dreieckigen Blätter treiben mit dicken fleischigen Stängeln aus, und Rhabarberstangen sind ab April zu ernten oder auf den Märkten zu kaufen. Die ausdauernde Staude mit kräftigem Wuchs und ausladender Blattrosette beansprucht viel Platz, stammt aus Asien und ist seit Urzeiten in unseren Gärten heimisch. Rhabarber braucht einen tiefgründigen, mittleren bis schweren Boden und viel Wasser und Dünger. Von beidem kann er nie genug haben, um seine saftigen Stängel und den Wurzelstock auszubilden. Staunässe verträgt er überhaupt nicht. Geerntet wird bis in den Juni. Danach wächst er wie auch der Spargel durch und braucht diese Zeit, um sich zu erholen und vor allem, damit der Wurzelstock sich wieder kräftigen kann. Freilandrhabarber enthält Säure und Bitterstoffe und die Rinde der Stängel ist etwas hart. Ganz anders sehen die Stangen des in völliger Dunkelheit getriebenen Rhabarbers aus. Sie sind schlanker, zarter und süßer im Geschmack. Die Schale ist dünn, die Farbe wechselt je nach Sorte von zart pink bis tief dunkelrot. Die Stangen sind innen weiß, die Blätter bleiben klein und haben eine helle bis kräftig gelbe Farbe. Sie enthalten weniger Säure und Bitterstoffe, infolge dessen tritt der Eigengeschmack des Rhabarbers intensiver hervor.

Die Stangen werden sehr früh im Jahr – lange vor dem Freilandrhabarber – unter der Bezeichnung Yorkshire Forced Rhubarb (Treibrhabarber aus Yorkshire) inzwischen unter dem europäischen Label einer geschützten Ursprungsbezeichnung vermarktet. Dieser spezielle Anbau von gebleichtem Rhabarber wurde im 19. Jahrhundert entdeckt. Unklar ist, ob Wurzelstöcke des Rhabarbers in der winterlichen Ruhephase aus Zufall oder gezielt zum Winterschutz überdeckt wurden. Ergebnis war, dass bei Lichtentzug längere, zartere und im Geschmack bessere Stangen austrieben.

In der Folge versuchte man durch das Überstülpen von Terracotta-Töpfen, wie beim Anbau von Chicorée, Endivie, Meerkohl und ähnlichen Sorten, zarte und bleiche Triebe zu fördern. Das ist auch heute die Methode der Wahl für den eigenen Garten. Winterfeste Rhabarberbleichtöpfe mit Deckel werden in verschiedenen Größen angeboten. Sie bringen gute Ergebnisse und machen inmitten eines grünen Beetes richtig was her. Nach der Ernte der bleichen Stangen wird der Deckel abgenommen und der Rhabarber wächst mit grünen Blättern für den Rest des Jahres durch die Öffnung hindurch. Für die Rhabarbertreiberei werden in England spezielle Sorten zunächst im Freiland kultiviert. Die Pflanzen wurden darauf selektioniert, dass sie in der Lage sind, möglichst viele Reservestoffe in ihren Wurzelstöcken zu speichern. Die regenreiche Gegend des „Rhabarber-Dreiecks“ zwischen Leeds, Wakefield und Bradford mit ihren feuchtigkeitsspeichernden Böden begünstigen die Ausbildung kräftiger Wurzelstöcke mit ebenso großen Knospen, aus denen die Rhabarberstangen austreiben. Nach zwei bis drei Jahren Freilandkultur werden die Wurzelstöcke ausgegraben und auf den Feldern bis zur nächsten Frost- und Kälteperiode ausgelegt. Der Kältereiz induziert den Austrieb. Dann werden sie in große, abgedunkelte, beheizbare Hallen mit den Blattknospen nach oben dicht aneinandergereiht. Das Anheizen der Halle führt zum Austrieb. In völliger Dunkelheit entstehen dann unter Aufbrauchen der Reserven lange, dünne, zartsüße, nicht bittere Rhabarberstangen. Geerntet werden sie bei Kerzenlicht. Feinschmecker schwören darauf. Nach der Ernte werden die völlig ausgelaugten Wurzelstöcke kompostiert. Rhabarber im eigenen Garten sollte daher immer nur umjährig gebleicht werden, damit sich die Pflanzen erholen.

Die Rhabarberbleichtöpfe im Einsatz in Schottland.

 

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zuletzt bearbeitet am 9.VII.2020