11. Juni 2020
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Borstgrasrasen - Pflanzengesellschaft des Jahres
Joachim Schmitz
Nach der Glatthaferwiese im vorigen Jahr ist auch diesmal wieder eine Vegetation ausgewählt worden, die ein Relikt traditioneller Landwirtschaft und deshalb vom Aussterben bedroht ist. Weil Borstgrasen in viele regionale und durch die Höhenstufe bedingte Varianten aufgeteilt sind, ist nicht eine einzelne Gesellschaft sondern gleich die ganze Ordnung Nardetalia zur Pflanzengesellschaft des Jahres erhoben worden. Borstgrasrasen sind durch extensive Nutzung von Grünland auf mageren, mehr oder weniger sauren Böden entstanden. Solche Flächen wurden meistens unregelmäßig als Schafweide genutzt. Das fördert Sträucher, die die Schafe nicht fressen wie Wacholder, bedornte Ginster-Arten und andere Kleinsträucher. Wenn die Flächen aber vorwiegend gemäht oder abgeflämmt werden, können Holzgewächse nicht aufkommen und es entsteht ein Magerrasen. Weil die Schafweide überwog, waren Borstgrasrasen zumindest im Rheinland schon immer seltener als Strauchheiden. Historisch gab es allerdings auch viele Mischformen. Flächen wurden sowohl beweidet wie gemäht oder abgeplaggt, d.h. die ganze Vegetation wurde abgetragen und als Brennmaterial benutzt. Deswegen gab es viele Übergänge zwischen typischen Heiden und Borstgrasrasen.
Namengebende Art ist das kleine, unscheinbare Borstgras (Nardus stricta), das kleine Horste aus steifen Stängeln bildet. Zumindest im Flachland und den Mittelgebirgen sind Borstgrasrasen arm an spektakulären Arten. Am bekanntesten ist die Arnika oder Berg-Wohlverleih (Arnica montana), die nicht nur auffällig blüht, sondern auch als Medizinalpflanze benutzt wird. Früher kam die Art bis ins Niederrheinische Tiefland vor. Die Fundorte sind aber durch Intensivierung der Landwirtschaft, Umwandlung in Forste oder Überbauung vernichtet worden. Heute muss man schon weit in die Höhere Eifel (z.B. am Losheimer Graben) fahren, um die Art noch zu finden.
Die Arnika ist die attraktivste Blume in Borstgrasrasen.
Es gibt darüber hinaus relativ wenig strikte Charakterarten, aber viele Begleiter, die allgemein saure Böden anzeigen. Genannt seien Gewöhnliches und Quendelblättriges Kreuzblümchen (Polygala vulgaris und serpyllifolia) sowie Blutwurz (Potentilla erecta)
Im Rheinland verbreitet war der Kreuzblümchen-Borstgras-Rasen (Polygalo-Nardetum). Die typischsten bunten Blütenpflanzen sind bereits genannt. Dazu kommen noch einige Gräser und Seggen. Im Flachland ist die Gesellschaft nahezu ausgestorben. Die wenigen Vorkommen in höheren Lagen sind durchweg Naturschutzgebiete, die nur durch geeignete Biotopflege intakt gehalten werden. Im Idealfall werden sie im Zuge der Vertragslandwirtschaft einmal jährlich gemäht. Wenn das nicht zu organisieren ist, werden die Flächen extensiv von Schafen beweidet. Wie oben ausgeführt, führt das aber zu einer Verschiebung des Artenspektrums, weshalb wenigstens gelegentlich doch mal gemäht werden muss.
Im Bereich des Hohen Venns konnte sich auch der Rasen der Sparrigen Binse (Juncetum squarrosi) halten. Der steht feuchter und saurer als normale Borstgrasrasen und vermittelt damit zu den eigentlichen Moorflächen im Hohen Venn. Die namengebende Sparrige Binse fällt durch ihre sehr dicken, steifen Stängel und Blätter auf. Attraktive Blütenpflanzen sind Wald-Läusekraut (Pedicularis sylvatica) und Lungen-Enzian (Gentiana pneumonanthe). Das hat auch schon Bearbeiter dazu bewogen, die Vorkommen in Westdeutschland und der Eifel als eigene Gesellschaft Enzian-Borstgras-Rasen abzutrennen. Das ist aber unter Fachleuten umstritten.
Während Borstgrasrasen überall wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit aufgegeben wurden, konnte sich der Rasen der Sparrigen Binse auf ein Ersatzbiotop retten: Sofern nicht Straßen oder befestigte Wege ein Moorgebiet begrenzen, sind die Moore im belgischen Venn von breiten Brandschutzstreifen umgeben. Die werden nie gedüngt und werden in größeren Abständen gemäht, um ein Übergreifen eines Waldbrands auf das Moor bzw. umgekehrt zu verhindern, ideale Bedingungen für einen Borstgrasrasen.
zuletzt bearbeitet am 9.VII.2020