8. Okt. 2020
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Laubsauger räumen Kleinlebewesen mit ab
Karl Josef Strank
Auf die Bäume ihr Affen, der Wald wird gefegt … Dieses Karnevalslied aus den 1960er Jahren war ein echter Hit, aber was wir da unseren nächsten Verwandten unterstellen, käme für Affen nie infrage. Sie leben vorwiegend auf Bäumen und sind sie auf dem Boden, machen sie alles Mögliche, aber niemals fegen sie den Wald. Ein natürlicher Wald räumt sich selber auf. Wir Menschen haben da mitunter eine andere Vorstellung von Ordnung. Das zeigt sich vielerorts daran, dass im Herbst und vor dem Winter die Laubsauger aufheulen, wo im Sommer das Knattern der Rasenmäher vorherrscht. Wir folgen da, weil der Nachbar schief guckt oder aus welchem Motiv auch immer, einem falsch verstandenen Ordnungssinn. In Wirklichkeit produzieren wir mit dieser Aufräumeritis einen Kahlschlag für die Existenzgrundlage unzähliger in der Laubstreu und im Boden lebender Klein- und Kleinstorganismen.
In den Nationalparks hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, die Natur ohne menschliche Eingriffe sich selbst zu überlassen. Im Bayrischen Wald sind in den 1990er Jahren ganze Nadelwälder unter dem Fraß von Borkenkäfern zusammengebrochen. Das tote Holz blieb ungenutzt liegen, was Forstwirte als Schande bezeichneten. Das rottende und vermodernde Holz bildete aber das Keimbett für eine Vielzahl nachwachsender Pflanzen. Heute haben sich die Wälder durch natürliche Verjüngung erholt. Die Zusammensetzung der Arten hat sich verändert und, wie Nachforschungen gezeigt haben, ist die Vielfalt bei Pflanzen und Tieren deutlich größer geworden. In der Laubstreu von Wäldern gibt es viele Bewohner, die den vermeintlichen Laub-Abfall aufarbeiten und als Nährstoff dem Boden wieder zuführen. Hierzu gehören Asseln, die sich nicht nur in den feuchten, dunklen Ecken von Kellern finden, Milben, Weberknechte, Springschwänze, Schnecken, Hundert- und Tausendfüßler. Eine herausragende Rolle im Boden spielen die Regenwürmer. Schon Charles Darwin fand deren Tätigkeit beim Aufbau fruchtbaren Bodens so interessant, dass er ihnen eine eigene Abhandlung widmete.
Bleiben Blätter auf dem Boden liegen, kann man jetzt im Herbst häufig beobachten, wie einige tütenförmig eingerollt in runden Löchern stecken. In diesen Fällen haben Würmer es noch nicht geschafft, sie vollständig in den Boden zu ziehen. Sie ziehen nämlich Blätter und andere Pflanzenreste in die Erde. Dort verrotten sie unter Einwirkung von Mikroorganismen. Die Würmer fressen diese rottenden Pflanzenreste und vermengen und verkneten sie im Darm mit Bodenpartikeln. Auf diese Weise wühlen sie den Boden komplett um, ein Vorgang, den man mit einem Fachausdruck auch als Bioturbation bezeichnet. Der Kot, den sie oft in kleineren oder größeren, wie aus der Tube gedrückten Häufchen neben den Wurmlöchern auf dem Boden absetzen, ist die beste und fruchtbarste Pflanzenerde. Diese besteht aus dem sogenannten Ton-Humus-Komplex, in dem mineralische und organische Bestandteile miteinander verbunden sind. Humus ist der Garant für fruchtbare Erde. Er speichert Kohlendioxid, Wasser und Nährstoffe.
Die moderne intensive Landwirtschaft und der massive Einsatz von Kunstdünger haben den Humusgehalt vieler Ackerböden schwinden lassen. Biolandwirte bemühen sich daher als erstes darum, den Humusgehalt und damit die natürliche Fruchtbarkeit ihrer Böden zu steigern. Das gelingt mit einer schonenden Bodenbearbeitung (der Pflug hat ausgedient), gezielter Fruchtfolge (Schmetterlingsblütler binden mit den Wurzelknöllchen Stickstoff) und einer ganzjährigen Bedeckung mit Vegetation (offener Boden erodiert und verliert Nährstoffe).
Im Garten ist das nicht anders. Wenn aus Gründen der Verkehrssicherheit Gehwege laubgesaugt werden, ist das ja okay. Wenn aber dieser Ordnungsanspruch auf den ganzen Garten ausgeweitet wird, ist das nicht okay. Augenmaß ist gefragt. Wilde und unaufgeräumte Ecken im Garten sind hoch wertvoll für viele kleine Lebewesen, die wir nicht gleich sehen, aber unentbehrlicher Teil des Ökosystems Garten sind.
zuletzt bearbeitet am 8.XI.2020