1. Okt. 2020

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Hirschkäfer, Geweihträger der besonderen Art

 Karl Josef Strank

Das größte und majestätischste Tier, das heute durch unsere Wälder streift, ist der Hirsch. Es macht mächtig Eindruck, wenn er im nebligen Herbstwald den tief tönenden, röhrenden Brunftschrei hören lässt, um seinen Harem beisammen zu halten und Rivalen abzuschrecken. Gleichstarke Hirsche gehen mit gesenkten Köpfen und knöchernen, breit ausladenden Geweihen aufeinander los und kämpfen so das Recht zur Fortpflanzung aus. Zwar um Dimensionen kleiner, aber genauso macht das auch ein waldbewohnender Käfer unserer heimischen Fauna, der ebenfalls am Kopf zwei geweihartige Zangen trägt, der Hirschkäfer, Lucanus cervus. Es handelt sich dabei um eine Umbildung der Mandibeln, dem Oberkiefer der Insekten. Mit seinen Verwandten, den Schrötern, gehört er zu den größten und auffälligsten Käfern in Europa.

Schon den Römern ist der Hirschkäfer aufgefallen. Die Namen Hornschröter, Feuerschröter, Donnergugi – diese Bezeichnung rekurriert auf den Beinamen Donar des germanischen Donnergottes Thor – zeugen von Bekanntheit und Bedeutung. Männchen und Weibchen sehen sehr unterschiedlich aus. Die Weibchen sind in der Regel drei bis fünf Zentimeter lang und haben kurze, zangenförmige Mandibel, tragen also kein Geweih. Die Männchen haben einen deutlich breiteren Kopf und werden bis zu acht Zentimeter lang. Es gibt aber auch kleinere Männchen, die wie die Weibchen nur kurze Mandibelzangen ausbilden. Sie werden als Hungermännchen bezeichnet und als forma capreolus geführt. Sie treten in Zeiten schlechter Ernährung häufiger auf. Der sogenannte Geschlechtsdimorphismus, wie der Größenunterschied auch mit dem Fachausdruck bezeichnet wird, macht den Hirschkäfer unverwechselbar. Die Grundfarbe beider Geschlechter ist schwarzbraun. Die Deckflügel – sie liegen über dem Hinterleib – sind braunrot gefärbt. Ins Auge fallen bei Weibchen und Männchen leuchtend gelbe Flecken, die sie auf der Vorderseite ihrer Vorderschenkel tragen. Diese werden durch zahlreiche, dicht stehende Härchen gebildet, wie sie auch an den Grenzen zwischen den Körperabschnitten zu beobachten sind.

Hirschkäferlarven in einem mit Holz gefüllten Hochbeet.

Hirschkäfer kommen in ganz Europa vor. Ihr bevorzugter Lebensraum sind lichte warme Eichenwälder. Hier sitzen sie tagsüber auf den Stämmen und lecken austretende, gärende Baumsäfte. Hirschkäfer sind erfolgreiche Kulturfolger, so sind sie auch in Offenlandbereichen wie Obstwiesen mit altem Baumbestand, sowie in Gärten, Parks und Alleen unserer Dörfer und Städte zu finden. Sie fliegen mit deutlich wahrnehmbarem Brummen abends hauptsächlich in der Zeit von Mai bis Juni. Männliche Hirschkäfer bekämpfen sich mit Hilfe des Geweihs und versuchen, den Gegner auszuhebeln. Die Weibchen signalisieren den erfolgreichen Männchen durch Sexuallockstoffe, dass sie paarungsbereit sind. Männchen haben eine kurze Lebenserwartung, weil sie vielen Beutegreifern zum Opfer fallen. Die Weibchen sterben im Spätsommer nach der Eiablage.

Die Eier werden tief in den Boden an die Wurzeln toter und modernder Bäume gelegt. Die Larven entwickeln sich dort und brauchen das durch Pilzbefall morsche und mürbe Holz vorzugsweise von Eichen. Zur Entwicklung der Larven suchen die Weibchen aber auch das Wurzelholz von Obstbäumen, Linden, Buchen, Pappeln, Eschen und anderen Bäumen auf. Dort verbringen die Larven bis zu acht Jahre, ehe sie dann schlüpfen und für einen Sommer lang das kurze Leben des erwachsenen Hirschkäfers führen.

Hauptgefährdung der Art verursacht der Verlust von Totholzbiotopen, die für die Entwicklung der Larven unentbehrlich sind. Baulanderschließung, Industrieansiedlungen, Straßen- und Autobahnbauten sowie Intensivierung und Ausweitung der Landwirtschaft einhergehend mit dem Verlust von Streuobstwiesen, Grünflächen mit Baumbestand und der vollständigen Stockrodung von Wäldern sind hierfür ursächlich.

Abhilfe schaffen tiefe Erdgruben mit dicken, modernden und sich zersetzenden Holzstämmen, die zum Ausgleich für wegfallende Totholzbiotope künstlich angelegt werden. Diese Maßnahmen sind bei großen Bauprojekten durchaus erfolgreich angewendet worden.

 

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zuletzt bearbeitet am 8.XI.2020