12. Nov. 2020
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Friedhöfe sind Oasen für Pflanzen und Tiere
Joachim Schmitz
Ursprünglich lagen christliche Friedhöfe unmittelbar um eine Kirche. Mit dem Wachstum der Städte wurde der Platz knapp; aber auch aus hygienischen Gründen wurden Bestattungen innerhalb von Ortschaften immer skeptischer gesehen. Im 19. Jahrhundert haben viele Städte große Zentralfriedhöfe vor den Toren der Stadt angelegt. Ein bekanntes Beispiel ist der Melaten-Friedhof in Köln, der 1810 eröffnet wurde. Alle innerstädtischen Friedhöfe wurden danach geschlossen.
Heute sind die Städte längst um die Friedhöfe herum gewachsen, so dass es sich nun um grüne Inseln im Beton handelt. Der Baumbestand ist z.T. sehr alt. Die Böden werden nicht gedüngt, es werden keine Pestizide ausgebracht und Hunde sind nicht erlaubt. So konnten im Melaten-Friedhof 40 Arten von Brutvögeln nachgewiesen werden. Das Gelände des Friedhofs in Aachen-Lintert umfasst Feuchtbiotope, in denen sich Amphibien angesiedelt haben.
Auf dem Aachener Ostfriedhof gibt es einen Massenbestand der Breitblättrigen Stendelwurz (Epipactis helleborine), einer heimischen Orchidee. Ebenfalls auf dem Ostfriedhof fand ich auf einem wenig begangenen Kiesweg das seltene Aufrechte Mastkraut (Sagina micropetala). Bei der landesweiten Kartierung in den 1980er Jahren entdeckte man im Münsterland etliche Vorkommen des in der Natur selten gewordenen Wiesen-Gelbsterns (Gagea pratensis) auf Friedhöfen.
Die ökologische Bedeutung von Friedhöfen ist erst in jüngster Zeit beachtet worden. 2017 hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Berlin das „Fachsymposium Stadtgrün: Friedhöfe im Wandel - Mut zu neuen Perspektiven“ veranstaltet.
Zur Förderung der Biodiversität auf Friedhöfen hat die Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege 2017 das Projekt „Friedhöfe - Oasen für Pflanzen und Tiere“ durchgeführt. Finanziert vom Freistaat Bayern wurden zunächst auf 10 ausgesuchten Friedhöfen Maßnahmen zur Steigerung der Biodiversität durchgeführt. Das Projekt ist vorläufig bis 2020 verlängert.
Dünen-Stiefmütterchen wachsen in Lommel zwischen den Grabkreuzen.
Im Einzelnen wurden Rasen seltener gemäht und dadurch in insektenfreundliche Wiesen umgewandelt. Das wird inzwischen auch in Aachen auf dem Friedhof Auf der Hüls praktiziert. Sofern die Verkehrssicherheit dies zulässt, ließ man hohle Bäume stehen, was Fledermäuse und Höhlenbrüter anzieht. Alte Mauern wurden nicht verfugt, was Eidechsen, Wildbienen und Pflanzen wie Streifenfarne anlockt. Auf Freiflächen, z.B. aufgelassenen Gräbern, wird nicht sofort Kunstrasen eingesät sondern eine Weile Spontanvegetation zugelassen.
Eine Sonderstellung nehmen Soldatenfriedhöfe ein. Sie wurden meist weitab von Siedlungen angelegt, so dass man hier auch eine natürlichere Spontanvegetation antreffen kann. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel ist Lommel in Nordbelgien. Der Friedhof ist auf einer Binnendüne mit Sand- und Heidevegetation angelegt worden. In den 1950er-Jahren wurde die Fläche gärtnerisch gestaltet und von „Unkraut“ befreit. Offensichtlich ist der Boden aber immer noch so sandig und mager, dass sich bis heute im lückigen Rasen mitten auf dem Gräberfeld Sandzeiger wie Kleiner Sauerampfer (Rumex acetosella) oder Kleiner Vogelfuß (Ornithopus perpusillus) halten konnten. Herausragend ist das Vorkommen des Dünen-Stiefmütterchens (Viola tricolor subsp. ammotropha).
Übrigens ist der Rang dieser Sippe sehr umstritten. Die Einstufung als Unterart folgt der sogenannten Buttler-Liste für Gefäßpflanzen Deutschlands. Manche Autoren bewerten sie als reine Standortmodifikation auf Sandböden; Floren von Belgien und der Niederlande stufen sie sogar als eigenständige Art ein.
zuletzt bearbeitet am 27.XII.2020