10. Dez. 2020
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Der Garten Karls des Großen in Aachen-Melaten
Karl Josef Strank
Der Titel suggeriert, dass Kaiser Karl ein großer Gärtner oder Gartenfreund gewesen ist. Gewiss nicht! Dennoch sind die Pflanzen, die in Melaten kultiviert werden, eng mit seinem Namen verbunden, denn er hat sie in einer Liste gleichsam als Anhang des Capitulare de villis, der Verordnung über die Landgüter, verzeichnen lassen. Der Freundeskreis Botanischer Garten Aachen hat nach der Capitulare-Liste gepflanzt und den Garten im Jahr 2000, dem Internationalen Karlsjahr zur Erinnerung an die 1200-jährige Krönung Karls zum Kaiser in Rom, eröffnet. Inzwischen ist der Karlsgarten 20 Jahre alt und der Freundeskreis besteht schon 35 Jahre. Gerne hätten wir die Jubiläen zum Anlass genommen und in diesem Jahr gefeiert, aber Corona verhindert das. Wir hoffen, im nächsten Jahr nach überstandener Pandemie die passende Gelegenheit zu finden, das nachzuholen.
Lange Zeit gab es am Rathaus einen Karlsgarten auf der Katschhofseite links. Diesen hat der Freundeskreis betreut und gepflegt, bis mit der Umgestaltung und der Freitreppe am Rathaus nur noch eine Handvoll Beete, die auf ausgewählte Pflanzen des Capitulare hinweisen, übriggeblieben sind. Der Karlsgarten in Melaten ist vollständig und zeigt alle Pflanzen der Liste und auch nur diese. Gärten mit mittelalterlichen Heilpflanzen gibt es einige. Wir zeigen den direkten und exklusiven Bezug zum Capitulare de villis Karls des Großen. Das ist aber nicht einfach und immer möglich, denn in einigen Fällen gibt es keine eindeutige Zuordnung zu den lateinischen Namen der Liste. Botaniker streiten darüber bis heute. Daher zeigen wir dann unter einem Namen zwei in Frage kommende Interpretationen, welche Pflanzen wohl gemeint sein könnten, z.B. für cardones sowohl die Weberkarde wie auch die Gemüseartischocke.
Das Inventar des Gartens besteht aus 73 überwiegend krautigen Pflanzen und 16 Obst- und Fruchtgehölzen. Alle Pflanzen hatten in der damaligen Zeit einen immensen Nutzen als Heil-, Würz- und Küchenkräuter. Die Reihenfolge in der Liste entspricht dem Ordnungsprinzip der antiken Kräuterbücher: a capite ad calcem. Die Arzneimittel wurden von Kopf, Augen, Nase, Ohren, Hals, Rachen, Brust, Bauch, Armen, Beinen bis zu den Füßen aufgelistet. Der Wert der Pflanzen wurde mit Blick auf ihre Nützlichkeit für eine gesunde Ernährung beurteilt. Es galt der Satz des Hippokrates, des berühmtesten Arztes der Antike: „Der Mensch ist, was er isst!“ Gesunde Ernährung zum Erhalt der körperlichen Fitness war für die Menschen im Mittelalter sehr wichtig. Gärten waren umsorgte und eingehegte Bezirke, zu denen nicht jeder Zutritt hatte, insbesondere musste das Vieh ferngehalten werden. Das Ideal des mittelalterlichen Gartens ist der hortus conclusus, der meist mit einer Hecke oder Mauer abgeschlossene Garten. Die ersten Universitätsgärten waren solche horti conclusi, heute noch zu erkennen zum Beispiel in Oxford und Leiden. Entstanden ist das auch aus der Tradition der Klostergärten, heute zu sehen im Klostergarten des Münsters St. Maria und Markus in Mittelzell auf der Reichenau. Mönche als schrift- und schreibkundige Gelehrte führten die Kanzlei Karls des Großen und haben die Regelungen für Ackerbau, Viehzucht, Vorratswirtschaft und die Pflanzenliste des Capitulare verfasst. Sie schöpften dazu aus den Kenntnissen antiker Schriften und eigenen Erfahrungen über Agrikultur und Heilkunde. In seiner formalen Gestaltung erinnert der Karlsgarten daher bewusst an den Charakter eines klösterlichen Kreuzganges. Nachdem die Hecken und die Bäume nunmehr 20 Jahre aufgewachsen sind, kommen sie diesem Gestaltungsbild auch nahe.
Seit Oktober steht im Garten eine Skulptur Karls des Großen, die der Künstler Alfred Mevissen aus Alsdorf aus einer Basaltsäule geschaffen hat. Wir sind darüber sehr glücklich, denn es dokumentiert die Verbindung von Natur und Kultur, wofür der Freundeskreis steht. Die Statue Kaiser Karls ist Ausgangspunkt und Teil eines länderverbindenden Skulpturenpfads (www.art-moves-europe.eu), an dem viele Künstler aus Europa beteiligt sind.
zuletzt bearbeitet am 5.I.2021