17. Dez. 2020

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Ein wertvolles Gewürz schreibt Weltgeschichte

 Christina Paulson

Vor allem Run, die abgelegenste der sechs kleinen Banda-Inseln im ostindischen Archipel, war noch im 17. Jahrhundert dicht bewachsen mit Muskatnussbäumen. Die Muskatnuss, damals ein Wundermittel, das sogar gegen die Pest helfen sollte, kam von dort wahrscheinlich im 6. Jahrhundert mit arabischen Händlern über die Seidenstraße bis in den Orient und im hohen Mittelalter mit den Kreuzfahrern nach Europa. Hier wurde das duftende Luxus-Gewürz mit Gold aufgewogen: Wohlhabende trugen die Nüsse als Schutzamulett an juwelengeschmückten Ketten oder naschten sie in kandierten Köstlichkeiten zum Wein.

Die Suche der Europäer nach einem Seeweg zu den fernöstlichen Gewürzinseln zur Umgehung der Handelsmetropolen Konstantinopel und Venedig war blutig und riss hunderte Seefahrer in den Tod. Sie starben auf ihren riskanten Fahrten ins Ungewisse an Skorbut, tropischen Krankheiten oder wurden von Piraten und Einheimischen ermordet.

So erging es auch Ferdinand Magellan, der im Jahr 1519 mit dem Ziel, einen neuen Seeweg gen Westen zu den begehrten Gewürzen zu finden, mit seiner „Molukken-Armada“ unter spanischer Flagge aufgebrochen war. Dabei entdeckte er 1520 die nach ihm benannte „Magellan-Straße“ zwischen Atlantik und Pazifik an der südamerikanischen Südspitze – etwa 20 Jahre nachdem Kolumbus, ebenfalls auf der Suche nach den Gewürzinseln, „zufällig“ Amerika entdeckt hatte. Von Magellans fünf Schiffen kehrten 1522 nur zwei – ohne ihn – nach Spanien zurück. Aber diese hatten ihr Ziel erreicht und waren reich beladen mit den in Europa so heiß begehrten Gewürzen: Nelken, Zimt und Muskat. Und: Sie hatten quasi nebenbei die erste Weltumseglung vollbracht und damit nachgewiesen, dass die Erde eine Kugel ist! An diese spanische Eroberung schloss sich ein jahrhundertelanger, brutaler Kampf um das Muskatnuss-Monopol zwischen Portugiesen, Spaniern, Niederländern und Engländern an, in dessen Verlauf die einheimische Bevölkerung komplett vernichtet oder versklavt wurde und es zu einem weiteren geschichtsträchtigen Ereignis kam: Um sich das Muskatmonopol zu sichern, tauschten die Niederländer 1667 im Frieden von Breda die Muskatnuss-Insel Run gegen die viel größere, damals niederländische, nahezu unbewohnte Insel Manhattan an der amerikanischen Ostküste ein. 1770 verloren die Gewürzinseln ihre Einzigartigkeit, als der französische Gartenfachmann Pierre Poivre Samen und Setzlinge von Gewürznelke und Muskatnuss auf die Seychellen schmuggelte.

Der immergrüne, schlanke, duftende Muskatbaum (Myristica fragrans) aus der Familie der Muskatnussgewächse (Myristicaceae) wird bis zu 15 Meter hoch. Sieben bis zehn Monate nach der Maiglöckchen-ähnlichen Blüte sind die pfirsich-artigen, hellgelben Muskatfrüchte reif. Dann springt das Fruchtfleisch auf und der auffallend rote Samenmantel (= Macis, fälschlicherweise als „Muskatblüte“ bezeichnet) kommt zum Vorschein. Vier bis sechs Wochen später zerschlägt man die nun gelblich-braune Samenschale und entnimmt die Muskat„nuss“, den Samen der von Botanikern als „Balg“ bezeichneten Frucht.

In hohen Dosierungen wirkt Muskatpulver halluzinogen, was Hildegard von Bingen schon im 12. Jahrhundert wusste. Ihr Rezept für „Nervenkekse“ sollte die „Bitterkeit des Herzens dämpfen“ und „den Geist fröhlich“ machen. Erst im 20. Jahrhundert wurde der in der Muskatnuss vorkommende Wirkstoff Myristicin untersucht, der neben anderen Inhaltsstoffen für die psychoaktive Wirkung von Muskat verantwortlich ist und starke Übelkeit auslösen kann.

Muskat hat zum Beispiel in der indischen Ayurveda einen festen Platz. Sein ätherisches Öl kommt unter anderem bei Massagen gegen Gliederschmerzen zum Einsatz. Sowohl Muskatnuss als auch Macis sind Bestandteile von Curry und anderen Gewürzmischungen. In Europa verwendet man Muskat zum Beispiel in Kartoffelpüree oder Weihnachtsgebäck. Jedoch sollte es wegen seines intensiven Geschmacks nur sparsam dosiert werden. Messerspitzenweise verwendet, sind keine schädlichen Effekte zu befürchten. Im Gegenteil: Eine Prise frisch geriebenes Muskatpulver macht fette Speisen bekömmlicher und verleiht ihnen einen einzigartigen Geschmack!

 

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zuletzt bearbeitet am 5.I.2021