1. Juli 2021

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Was hat der Schlafmohn mit dem Salzstreuer zu tun?

 Ruth Gestrich-Schmitz

Mit leuchtenden Farben und seidigen Blütenblättern bezaubert der Mohn von Juni bis in den August Spaziergänger und Gartenliebhaber. Rote Klatschmohnblüten und blaue Kornblumen an Weg- und Feldrändern und in traditionellen Bauerngärten haben Künstler immer wieder zu herrlichen Bildern inspiriert.

Doch nicht jeder Mohn darf heute in Deutschland im privaten Garten angebaut werden, sind die Blüten noch so schön und zudem attraktiv für Bienen und Hummeln. Der Schlafmohn (Papaver somniferum) gehört zu den Arten, die Opiate enthalten und deren Anbau in Deutschland dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt. Doch das ist erst seit dem letzten Jahrhundert der Fall. Der Schlafmohn ist eine sehr alte Kulturpflanze, deren Wildform nicht – wie die meisten anderen – aus dem Vorderen Orient, sondern aus dem westlichen Mittelmeergebiet stammt. Früheste archäobotanische Funde aus dem 5. Jt. v. Chr., die auf den Mohn als Kulturpflanze hinweisen, wurden im Rheinland gemacht. Eine Blütezeit des Mohnanbaus gab es bereits im 4. Jt. v. Chr. im nördlichen Alpenvorland.

Schlafmohn wächst als einjährige, blaugrün bereifte Pflanze mit einer kräftigen Pfahlwurzel bis zu einhundertfünfzig Zentimeter hoch und ist von Milchsaftröhren durchzogen. Die Blätter haben einen welligen bis gezähnten Rand und sitzen im oberen Bereich Stängel-umfassend. Die im Durchmesser bis zehn Zentimeter breiten Blüten sind blassviolett, rot oder weiß, mit vier Kronblättern, die am Grund ein dunkles Saftmal aufweisen, zahlreichen Staubblättern und einem kugeligen Fruchtknoten, der mit einer Scheibe mit auffälligen Narben abschließt. Nach der Bestäubung schwillt der Fruchtknoten zu einer bis fünf Zentimeter dicken Kapsel an, die bis zu zweitausend winzige, nierenförmige Samen enthält. Unter der Narbenscheibe bilden sich bei der Reifung kleine Poren, durch welche die Samen bei Wind wie bei einem Salzstreuer ausgeworfen werden. Raoul Heinrich Francé, ein Münchner Biologe, nahm sich die reife Mohnkapsel als Vorbild und zeichnete einen Streuer für Salz, Puder und sonstige medizinische Zwecke und ließ sich diesen 1919 als Patent bestätigen.


Schlafmohn im Botanischen Garten Berlin

Die stark ölhaltigen, nur gering Opiat-haltigen Samen wurden schon von den Römern und werden auch heute noch zur Herstellung von Gebäck verwendet. Aus den Samen presst man ein hochwertiges Speiseöl. Der Pressrückstand dient als Viehfutter. Als Heilpflanze nutze man den Schlafmohn vermutlich bereits seit der Steinzeit. Auf einer sumerischen Steintafel (ca. 3000 v. Chr.) wird er als Pflanze des Glücks beschrieben. Der römische Dichter Ovid nannte den aus der unreifen Mohnkapsel gewonnenen Milchsaft mit seiner berauschenden Wirkung „Saft vom Kraut des Vergessens“. Der getrocknete Milchsaft, das Opium, wurde geraucht oder meist mit Wein vermischt getrunken und zur Beruhigung, zur Schlafförderung sowie zur Schmerzlinderung eingesetzt. 1670 kreierte der englische Arzt Thomas Sydenham das „Laudanum“, eine Tinktur aus Opium, Zimt, Safran und anderen exotischen Zutaten, das schnell den Ruf eines Universalheilmittels errang und bis ins 19. Jh. in Gebrauch war. Wie populär Opium war, kann man auch daran ablesen, dass Goethe es im Faust I als „Inbegriff der holden Schlummersäfte“ erwähnt. Opium enthält etwa vierzig Alkaloide, wovon die drei Wichtigsten Morphin, Codein und Papaverin sind. Morphin wirkt schmerzstillend, beruhigend, hypnotisch, narkotisch, Hustenreiz dämpfend und verstopfend. Codein ist bekannt als Hustenreiz-stillendes Mittel. Papaverin entspannt die glatte Muskulatur, z.B. bei einem Asthma-Anfall, und steigert den Blutandrang in den Schwellkörpern des Penis. Morphin wird heute in der Medizin nur noch bei starken, anhaltenden Schmerzen eingesetzt.

Der Schlafmohn ist in diesem Jahr zur Giftpflanze des Jahres gekürt worden. Denn das im 19.Jh. zur Modedroge gewordene Opium und das 1805 durch den Apotheker Friedrich Sertürner erstmals isolierte reine Morphin bergen ein hohes Suchtpotenzial mit tiefgreifenden Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem. Bei Überdosierung kann es zu Atemlähmung, Lungen- und Hirnödemen führen.

 

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zuletzt bearbeitet am 17.VIII.2021