15. Juli 2021

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Was sind eigentlich Gewölle?

 Sophie Zimmermann

Vielleicht sind dem ein oder anderen Spaziergänger im nahegelegenen Wald oder Stadtpark schon einmal merkwürdige ovale Gebilde auf dem Boden aufgefallen. Bei diesen Strukturen handelt es sich nicht um Tierkot, wie man vielleicht vermuten könnte, sondern um die Würgeballen von bestimmten Vogelarten. Diese als Gewölle bezeichneten Ballen enthalten die unverdaulichen Reste der aufgenommenen Nahrung, welche durch den Schnabel wieder ausgespien werden.

Größe und Form des Gewölles sind von der jeweiligen Vogelart abhängig. Der Eisvogel und manche Meisenarten hinterlassen sehr kleine Gewölle, die kaum auffallen. Da diese Vögel vor allem Insekten oder andere Kleintiere jagen, sind in den Gewöllen Reste des Chitinpanzers oder im Falle des Eisvogels kleine Fischgräten zu finden. Größer und am häufigsten vorzufinden sind die Gewölle von Eulen- oder Greifvogelarten. Häufige Eulenarten in Deutschland sind Waldkauz, Raufußkauz, Steinkauz, Waldohreule, Schleiereule und Uhu. Die Einteilung Kauz / Eule ist übrigens systematisch falsch. Bei der Ordnung der Eulen wird zwischen der Familie der Schleier- und Maskeneulen und jener der eigentlichen Eulen unterschieden. Während in den Eulengewöllen selbst kleinste Knochen zu finden sind, sind in den Gewöllen der Greifvögel kaum Knochen vorhanden, da diese von dem starken Magensaft verdaut werden. Eulengewölle sind auch meistens gerundet und gleichmäßiger geformt als die von Greifvögeln.

Unverdauliche Nahrungsreste

Eulen verschlingen ihre Beute im Ganzen und verdauen sie im Magen. Die kleineren unverdaulichen oder überschüssigen Bestandteile werden durch den Verdauungstrakt ausgeschieden. Die größeren Reste, welche nicht durch den Magenausgang passen, bleiben im Muskelmagen zurück. Durch Muskelkontraktion wird ein länglicher Ballen geformt, welcher über den Drüsenmagen, die Speiseröhre und schließlich den Schnabel wieder ausgewürgt wird. Der Ballen ist so geformt, dass spitze Teile, wie Knochen, Chitin (zum Beispiel Igelstacheln), Gräten oder Schuppen, von den weichen Komponenten wie Federn oder Haaren umschlossen sind. Deshalb kann schon von außen, anhand der Farbe des Gewölles, auf den vermeintlichen Inhalt geschlossen werden. Ist der Ballen von stumpfen braunen Haaren umschlossen, kann zum Beispiel ein Kaninchen oder Hase verspeist worden sein.

Wie viele Speiballen eine Eule am Tag produziert, ist abhängig vom Jagderfolg. Es wird davon ausgegangen, dass ein Gewölle in der Nacht am Verdauungsplatz und eines am Tag am Ruheplatz hochgewürgt wird. Die Gewölle werden jedoch spätestens vor der nächsten Nahrungsaufnahme ausgestoßen.

Gewölle können also im Lebensraum der Eulen gefunden werden, beispielsweise unter Bäumen in Wäldern, in Parks oder auf Wiesenflächen, auf Dachböden oder in künstlichen Nistplätzen. Der Fundort kann demnach bereits Auskunft über die Eulenart geben. Die Schleiereule hat sich zum Beispiel an den menschlichen Einfluss gewöhnt und brütet in Gebäuden wie Kirchtürmen, Dachstühlen oder Scheunen. Sie jagt bevorzugt in offenem Gelände am Rand von Siedlungen oder in großen Parks.

Das interessante an den Gewöllen ist, dass diese nicht nur Informationen über das Beutespektrum und den Jagderfolg der Vögel liefern, sondern auch über die Kleinsäugerwelt des Jagdgebietes. Durch die Bestimmung der Beutetierarten können Aussagen über die Populationsgröße oder die geografische Verbreitung der Tiere getroffen werden. Vor allem Nagetiere sind wichtige Beutetiere und bilden die Nahrungsgrundlage vieler Nahrungsketten. Schwankungen in der Nagetierpopulation beeinflussen die Räuberpopulation, denn nur wenn beispielsweise genügend Mäuse zu jagen sind, kann die Brut ernährt werden.

Zur Bestimmung können die Gewölle präpariert und die einzelnen Knochenteile untersucht werden. Vor allem über die Schädel- und Kieferknochen können Kleinsäuger gut bestimmt werden. Bei Gewöllen ist aber immer auch Vorsicht geboten, da viele Mäuse Überträger von Hantaviren sind. Es empfiehlt sich, die Gewölle zur Sicherheit nur mit Handschuhen anzufassen und vor der Untersuchung für zehn Minuten abzukochen. Danach kann man getrost als Hobby-Paläontologe auf der Suche nach Knochen in den Gewöllen wühlen.

 

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zuletzt bearbeitet am 17.VIII.2021