28. Okt. 2021

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Der Flaschenkürbis, eine weitgereiste Pflanze

 Ruth Gestrich-Schmitz

Halloween steht vor der Tür und Kürbisse haben Hochkonjunktur. Für die Kinder steht der Gruselfaktor meist im Vordergrund, für die Erwachsenen der kulinarische Genuss. Am bekanntesten sind Hokkaido-, Butternut- und Muskatkürbis, deren Heimat in Amerika liegt und die erst nach der Entdeckung Amerikas zu uns nach Europa kamen. Der Flaschenkürbis (Lagenaria siceraria), der auch zur Familie der Kürbisgewächse (Cucurbitaceae) gehört, ist bei uns eher unbekannt, wahrscheinlich weil er in der Küche hierzulande heute keine Bedeutung mehr hat. Er ist aber die einzige Kürbisart, die seit alters her in Mitteleuropa kultiviert wurde. Ursprünglich stammt er wohl aus Afrika und wurde durch die Römer weit verbreitet. Auch in der Pflanzenliste der Landgüterverordnung Karls des Großen aus dem 8.Jh. ist er aufgeführt.

Der Flaschenkürbis ist eine einjährige, dem Boden anliegende oder mit verzweigten Sprossranken kletternde Pflanze, die einen sonnigen Standort liebt. Die kräftigen Stängel sind drüsig behaart und können bis zu zehn Meter lang werden. Die großen, samtweich behaarten Blätter sind am Grund herzförmig. Ab Mitte Juni erscheinen große fünfzählige, weiße, weibliche oder männliche Blüten. Die weiblichen Blüten erkennt man an dem deutlich sichtbaren Fruchtknoten, der schon wie ein Mini–Kürbis aussieht. Nach der Bestäubung durch Insekten entwickeln sich flaschenförmige, bis zu einem Meter lange und bis zu einem Kilogramm schwere, gelbgrüne, grüne oder grün-weiß gesprenkelte Früchte (botanisch betrachtet handelt es sich um Beeren), die auch Kalebassen genannt werden. Das Fruchtfleisch junger Früchte der bitterstoffarmen Sorten ist weiß und von mildem Geschmack. Die gefurchten, weißen oder braunen Samen nutzt man zur Öl-Gewinnung.

Die reifenden Früchte entwickeln eine feste Schale, die in getrocknetem Zustand sehr leicht und wasserundurchlässig ist. So eignet sich die Kalebasse wunderbar als Aufbewahrungsgefäß. Wie der niederländische Name „pelgrimsfles“ noch heute besagt, dienten Kalebassen den Jakobspilgern als ideale Feldflaschen auf ihrer Wanderung nach Santiago de Compostela. Aus kleinen Kalebassen wird in Südamerika gerne der beliebte Mate-Tee getrunken. In China verwendete man sie als Aufbewahrungsgefäße für Medizin. Die Hohlräume getrockneter Flaschenkürbisse liefern ausgezeichnete Klangkörper für Musikinstrumente: Rasseln, Trommeln oder Saiteninstrumente wie die Sitar, eine indische Langhalslaute. Weitere Nutzungen reich(t)en von Schwimmern für Fischernetze, Masken, Grillen-Käfigen über Vogelhäuser bis hin zu Penisfutteralen.

Seit wahrscheinlich elftausend Jahren wird der Flaschenkürbis bereits als Gemüse kultiviert. Den Römern lieferte das Kochbuch des Apicius acht Rezepte dazu. Bitterstoffarme Sorten des Flaschenkürbisses werden heute vor allem in Asien verwendet: Triebe, Blätter, Ranken und unreife Früchte mit weicher Schale werden zu Gemüse und Curry verarbeitet. Das Fruchtfleisch enthält bis zu 95 % Wasser, Kohlenhydrate, Eiweiß, Calcium, Eisen, Provitamin A, Vitamine der B-Gruppe sowie Vitamin C. Vorsicht ist allerdings bei allen Kürbisgewächsen geboten, wenn die Früchte bitter schmecken, was auf hochgiftige Cucurbitacine hinweist. In der Medizin wurde der Flaschenkürbis als Brechreiz-auslösendes, harntreibendes, abführendes, Fieber-senkendes Mittel oder bei Verbrennungen und Gelbsucht eingesetzt.

In Mittelamerika nutzte man den Flaschenkürbis bereits um 7000 v.Chr. Aber wie kam er aus Afrika dorthin? Eine Studie von 2014 legt auf Grund von DNA-Analysen und Strömungsverhältnissen im Ozean die Vermutung nahe, dass die trockenen, wasserundurchlässigen Früchte mit ihren lange keimfähigen Samen über den Seeweg nach Amerika gelangt sind.

 

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zuletzt bearbeitet am 9.XI.2021