4. Nov. 2021

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Süßholz – begehrte Süßigkeit und altes Hustenmittel

 Christina Paulson

Wer im sprichwörtlichen Sinn „Süßholz raspelt“, schmeichelt einer anderen Person mit schönen Worten, um etwas zu erreichen. Tatsächlich schabt oder raspelt man die süß schmeckende Süßholz-Pfahlwurzel seit alters in kleine Stücke, um daraus Arzneien oder Süßwaren herzustellen. Die bekannteste Süßigkeit aus Süßholz ist bis heute die schwarze Lakritze in Form von Pastillen, Bonbons oder „Schnecken“ aus dem eingedickten Wurzelsaft der Pflanze. Allerdings ist in vielen sogenannten Lakritz-Produkten nur wenig bis gar kein Süßholz enthalten, sondern Anisöl, welches zu dem vermeintlich typischen Geschmack der Produkte führt. Auch manchen Likören, Magenbittern und Teemischungen ist Süßholzwurzel beigemischt. An dessen Geschmack scheiden sich allerdings die Geister: entweder man liebt oder verschmäht ihn. Verantwortlich für den typischen Geschmack der Süßholzwurzel ist die Substanz Glycyrrhizin.

Glycyrrhiza glabra, wie Süßholz botanisch heißt, gehört wie z.B. auch Erbsen, Bohnen und Linsen zu den Schmetterlingsblütlern (Fabaceae) und ist im Mittelmeergebiet sowie in Westasien heimisch. Die Staude kann eine Höhe von bis zu zwei Metern erreichen und besitzt eine gelbe, holzige Pfahlwurzel mit ausgedehnten Ausläufern. Am aufrechten Stängel sitzen unpaarig gefiederte Blätter, die aus mehreren ovalen bis herzförmigen Fiederblättchen bestehen. Süßholz blüht im Frühsommer mit rosa bis blauvioletten, blattachsel-ständigen Blüten. Nach der Befruchtung entwickeln sich in den Hülsen zwei Reihen von kugel- oder nierenförmigen Samen.

Medizinische wirksam ist die Wurzel der Pflanze, was schon in der Antike bekannt war. So schätzte der griechische Philosoph und Naturforscher Theophrastos von Eresos (371 - 287 v. Chr.) die süße (= glykys) Wurzel (= rhiza) als Heilmittel gegen Husten. Lakritz soll damals zur Standardausrüstung der römischen Soldaten gezählt haben. In Mitteleuropa kennt man Süßholz als Heilmittel seit dem Mittelalter. So beschrieb Hildegard von Bingen seine Wirkung u.a. gegen Heiserkeit, Husten und Lungenleiden.

Der „Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ an der Universität Würzburg kürte Süßholz 2012 zur „Arzneipflanze des Jahres“. Der Studienkreis verleiht diese Auszeichnung seit 1999 ausschließlich an Heilpflanzen mit interessanter Medizin- und Kulturgeschichte, deren Heilwirkung wissenschaftlich erwiesen ist.

Bislang haben Wissenschaftler rund 400 Inhaltsstoffe der Süßholzwurzel gefunden. Zu den wichtigsten zählen Saponine wie Glycyrrhizin, Flavonoide, Cumarine und Schleimstoffe. Aus diesen Inhaltsstoffen erklärt sich die Anwendung, z.B. in Form von Tee als entzündungs¬hem¬mende, schleimhautschützende und auswurffördernde Droge gegen Husten, Katarrhe und Entzündungen der oberen Atemwege sowie zur Normalisierung einer gestörten Magenschleimhaut. Auch in China, Japan und Indien liegen Süßholzwurzeln im Apothekenschrank. Allerdings darf man Süßholzwurzel ohne ärztliche Rücksprache nicht länger als vier bis sechs Wochen anwenden. In hohen Dosen können Nebenwirkungen wie Bluthochdruck und Ödeme auftreten. Deshalb sollte die Tagesdosis von 15 Gramm Süßholzwurzel nicht überschritten, täglich nicht mehr als 50 Gramm Lakritz verzehrt und gleichzeitig auf eine kaliumreiche Kost geachtet werden.

Anfang 2021 veröffentlichten Wissenschaftler der Klinik für Infektiologie am Universitätsklinikum Essen Ergebnisse einer Studie, wonach sie zeigen konnten, dass Glycyrrhizin antiviral wirkt und somit auch die Symptome von Covid-19 mildern könnte. Eine Überprüfung der Wirksamkeit am Menschen in klinischen Studien steht allerdings noch aus.

In Bamberg, wo es bereits im 16. Jhd. einen Süßholzanbau gab, hat sich 2010 die „Bamberger Süßholzgesellschaft“ im Rahmen des Modellprojekts „Urbaner Gartenbau“ gegründet, die die dortige Tradition wieder aufleben ließ. 2013 erntete man hier dann wieder die Wurzeln und verarbeitete sie weiter. Inzwischen ist dieser „innerstädtische Gewerbsgartenbau in Bamberg“ als Kulturform von lokaler Bedeutung im „Bundesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes“ enthalten.

 

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zuletzt bearbeitet am 3.XII.2021