6. März 2025

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Guttation - Wassertropfen aus Pflanzen

 Joachim Schmitz

Bald treiben die Knospen von Holzgewächsen wieder aus. Wenn man genau hinschaut, erkennt man einen glänzenden Flüssigkeitsfilm darauf, der sich beim Anfassen klebrig anfühlt. Besonders auffällig ist das bei der Rosskastanie (Aesculus hippocastanum). Die sowieso schon ziemlich großen Knospen schwellen im März unmittelbar vor dem Austrieb noch weiter an und produzieren so viel von diesem Sekret, dass es manchmal sogar in Tropfen herabläuft.

Diese Erscheinung heißt Guttation. Ihr Zweck ist, nach der Winterruhe den Wassertransport nach oben wieder anzuleiern. Bei kleineren Pflanzen genügt dafür oft der Kapillareffekt. So nennt man das Phänomen, dass Wasser in mikroskopisch schmalen Röhren von alleine nach oben steigt, entgegen der Schwerkraft von unten und dem Luftdruck von oben. Ursache ist eine Kombination aus dem sehr starken inneren Zusammenhalt der Wasserteilchen (Kohäsion) und der Fähigkeit, sich an Wände anzuheften (Adhäsion). Dabei spielen allerdings so viele Faktoren eine Rolle, dass höchstens abzuschätzen ist, in welche Höhe man nur durch den Kapillareffekt kommt.

Der höchste derzeit bekannte lebende Baum mit ca. 115m Höhe ist ein Mammutbaum (Sequoia sempervirens) in den USA. 1872 wurde in Australien ein Riesen-Eukalyptus (Eucalyptus regnans) gefällt, der sogar 132m hoch gewesen sein soll. Der größte lebende Exemplar dieser Art wächst in Tasmanien und ist knapp 100m hoch. Für solche Transportwege reicht der Kapillareffekt sicher nicht. Deshalb braucht es einen weiteren Faktor. Das ist der Sog, der durch die Verdunstung von Wasser aus den Blättern hervorgerufen wird.

Rosskastanie im Austrieb. Die klebrigen braunen Knospenschuppen glänzen noch im Licht auf.

Sommergrüne Bäume werfen im Herbst die Blätter ab. Damit gibt es auch keine Transpiration und keinen Sog nach oben mehr. In der Winterruhe braucht es den auch nicht. Damit die in den Knospen verborgenen jungen Sprosse im Frühjahr austreiben können, muss aber der Wasserstrom wieder anfangen. Dies geschieht durch spezialisierte Zellen, sogenannte Hydathoden, die aktiv, also unter Energieverbrauch Zuckerwasser ausscheiden. Wasser hat nun die Eigenschaft, einen Konzentrationsausgleich herzustellen. So entsteht entgegen der Schwerkraft ein Sog nach außen zum Zuckerwasser. Diesen Effekt nennt man Osmose.

Sobald die ersten neuen Blättchen austreiben, gibt es wieder Transpiration, die jetzt wieder den Wassertransport übernimmt. Diese Phase ist auf dem Foto abgebildet.

Guttation ist also die Ausscheidung von Wasser über spezialisierte Zellen. Der Name kommt von lat. gutta, was so viel wie Tropfen heißt. Guttation gibt es auch bei zahlreichen krautigen Pflanzen. Auch hier geht es meist darum, die Wasserleitung durch Transpiration zu unterstützen, z.B. wenn die Verdunstung durch hohe Luftfeuchtigkeit eingeschränkt ist. Das bekannteste Beispiel ist der Frauenmantel (Alchemilla species). Die an den Blattzähnen austretenden Wassertropfen bilden ein auffälliges Ornament. Deshalb haben die Alchimisten im Mittelalter diesen Tropfen besondere Wirkungen zugeschrieben und sie gesammelt. Der Gattungsname bedeutet wörtlich „die kleine Alchimistin“.

Eine spezielle Art von Guttation zeigen manche Steinbrech-Arten (Saxifraga species). Sie wachsen z.B. in den Alpen auf sehr kalkhaltigem Boden oder sogar direkt auf Kalkfelsen. Überschüssigen Kalk werden sie los, indem sie am Blattrand Wasser mit einem hohen Anteil von gelöstem Calciumhydrogencarbonat ausscheiden, Durch Verdunstung von Wasser entsteht fester Kalk, so dass die Blätter von weißem festen Kalk umrandet sind. Das ist übrigens die selbe Reaktion, wie sie auch in Tropfsteinhöhlen abläuft.

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zuletzt bearbeitet am 9.IV.2025