24. April 2025
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Das komplizierte Leben der Eichenschwammgallwespe
Joachim Schmitz
Gallen gehören zu den merkwürdigsten Gebilden, die die Biologie kennt. Dabei bringt ein fremder Organismus eine Pflanze (in seltenen Fällen auch einen Pilz) dazu, eine Struktur auszubilden, die sie alleine nie produzieren würde. In dieser Galle entwickelt sich der Parasit, wodurch er geschützt ist und sich auch gleichzeitig von der Wirtspflanze ernährt.
Besonders anfällig sind Eichen. Im Führer „Geheimnisvolle Pflanzengallen“ führt Heiko Bellmann 65(!) Parasiten auf, die Gallen an Eichen verursachen können. Warum gerade Eichen so stark betroffen sind, ist nicht bekannt.
Eine der Auffälligsten davon Ist die Eichenschwammgalle. Sie ist schon mal sehr groß, mindestens wie eine Murmel, und erscheint auch viel früher als die meisten anderen Gallen. Das Foto wurde in den letzten Apriltagen aufgenommen. Sie sitzt auch nicht auf den Blättern sondern direkt an den Spitzen junger Triebe. Darin entwickelt sich die Gallwespe Biorhiza pallida vom Ei bis zum erwachsenen Insekt. Ich hab mir damals ein paar Zweige mitgenommen als Material für Demonstrationen oder Prüfungen. Die habe ich in einem Schrankfach abgelegt und erst mal vergessen. Nachdem ich das Fach Wochen später wieder geöffnet habe, kamen mir etliche hellbraune Gallwespen entgegen geflogen.
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Schwammgalle zur Zeit des Austriebs der neuen Triebe und Blütenstände.
Das war die geschlechtliche Generation der Eichenschwammgallwespe. Es gibt also ganz normal Männchen und Weibchen. Die befruchteten Weibchen graben sich dann durch die Erde zu Eichenwurzeln, stechen die an und legen dort ihre Eier ab. Damit provozieren sie wieder eine Bildung von Gallen, diesmal unterirdisch an Eichenwurzeln.
Die sehen so ähnlich aus wie die oberirdischen Schwammgallen. In jeder Galle reift nun die nächste Generation heran, die nur aus Weibchen besteht. In jeder Wurzelgalle wächst nur 1 Individuum heran. Die Entwicklung dauert anderthalb Jahre! Erst im folgenden Jahr im Spätherbst oder frühen Winter schlüpfen die Tiere, wiegesagt nur Weibchen und ungeflügelt, so dass sie an Ameisen erinnern. Flügel brauchen sie auch nicht. Ihr einziger Lebenszweck ist es, von der Wurzel bis in die Krone der Eiche zu krabbeln und ihre Eier in die Knospen der Triebe zu bohren. Im Frühjahr schlüpfen die Larven, was die Eiche zur Bildung der Schwammgalle veranlasst. Damit ist der Zyklus geschlossen.
Diese Art der Vermehrung heißt Parthenogenese oder Jungfernzeugung. Das ist keine ungeschlechtliche sondern eine unvollkommene sexuelle Vermehrung. Es werden ganz normale Eizellen gebildet, die aber nicht befruchtet werden und aus denen direkt neue Tiere entstehen. Deshalb können in der nächsten Generation auch wieder Männchen auftreten. Bei ungeschlechtlicher Vermehrung dürfte ein Weibchen sonst nur weibliche Nachfahren hervorbringen.
Parthenogenese gibt es auch bei vielen anderen Tieren. Das ist z.B. der Grund, warum sich Blattläuse auf einer ihnen zusagenden Wirtspflanze so rasend schnell vermehren. Während Blattläuse je nach Bedarf zwischen beiden Vermehrungsformen umschalten können, ist der Wechsel normal sexueller und parthenogenetischer Generationen bei Eichengallwespen obligatorisch. Dabei sind die Tiere der beiden Generationen so unähnlich, dass sie oft erst als völlig getrennte Arten beschrieben wurden. Erst vor etwa 140 Jahren wurde ihr Zusammenhang entdeckt.
Der Name Galle hat auch was mit den Eichengallwespen zu tun. Galla heiß lateinisch so viel wie Geschwulst und das wurde vor allem auf mehrere große Eichengallen bezogen. Ein Inhaltsstoff ist die Gallussäure, Im Mittelalter wurde aus Eichengallen die Eichengallustinte hergestellt.
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zuletzt bearbeitet am 7.V.2025