31. Juli 2025

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die Kreuzblättrige Wolfsmilch - eine Pflanze mit Sprengkraft

 Ruth Gestrich-Schmitz

Wurde man im Mittelalter krank, waren die ersten Maßnahmen, die man zur Gesundung einleitete, der Aderlass sowie der Einsatz von Brech- und Abführmitteln, um krankheitsauslösende Stoffe aus dem Körper zu entfernen. So sind in Kapitel 70 der Landgüterverordnung Karls des Großen etliche Pflanzen aufgeführt, die diesem Zweck dienten. Dazu gehört „lacteridas“, die unter der Nummer 71 genannte Kreuzblättrige Wolfsmilch (Euphorbia lathyris). Über Jahrhunderte hinweg wurde sie als drastisches Brech- und Abführmittel genutzt, daher ihre volkstümlichen Namen Spei-, Purgier- und Scheißkraut. Unter Purgieren verstand man die Reinigung des Körpers von „Schleim, schwarzer Galle und verdickten Säften“. Samen und Blätter fanden auch Anwendung als harntreibendes Mittel bei Gicht und Gelenkentzündungen. Der Milchsaft der Blätter ruft Blasen und Nekrosen auf der Haut hervor, was Bettler im Mittelalter dazu nutzen, sich dem Aussatz ähnliche Hautwunden beizubringen, um Mitleid zu erregen und mehr Almosen zu bekommen. Der stark reizende Milchsaft wurde auch als Enthaarungsmittel und zur Entfernung von Warzen und Hühneraugen eingesetzt.

Alle Teile der Pflanze sind giftig. Deshalb äußerte sich Hildegard von Bingen, abgesehen von der abführenden Wirkung, sehr zurückhaltend über die medizinische Verwendung. Der Kreuzblättrige Wolfsmilch enthält Diterpenester (Ingenole und Phorbolester), die für die stark reizende Wirkung im Mund- und Rachenraum und für Bauchkrämpfe, Erbrechen, Kreislaufstörungen bis hin zum Kollaps verantwortlich sind. Der Kontakt des Milchsafts mit den Augen kann zu heftiger Bindehautentzündung und oberflächlichen Hornhautdefekten führen. Deshalb sollte die Kreuzblättrige Wolfsmilch auf keinen Fall zu Selbstheilzwecken verwendet werden!

Euphorbia lathyris ist eine alte Kultur- und Heilpflanze, deren Heimat vermutlich im östlichen Mittelmeergebiet liegt. Die ein- oder zweijährig wachsende Kreuzblättrige Wolfsmilch liebt wintermilde und sommerwarme Standorte mit lockerem, nährstoffreichem Lehmboden und kann bis zu einem Meter hoch werden. Man findet sie oft auf Ruderalfluren und Weg- und Straßenrändern. Charakteristisch ist der kräftige, aufrechte Stängel mit den gekreuzt - gegenständig stehenden, lanzettlichen, dunkelgrünen Blättern, was sie zu einer attraktiven Gartenpflanze macht. Zur Blütezeit von Juni bis August erscheinen grüne Hochblätter mit einem Kleinstblütenstand, Cyathium genannt, mit einer zentralen weiblichen Blüte, die auf den dreinarbigen Fruchtknoten reduziert ist, und mehreren seitlich stehenden männlichen Blüten, die nur aus einem Staubblatt bestehen. Auffällig sind die gelben, zweihörnigen Honigdrüsen, die das Cyathium umgeben und Bienen, Wespen und Schwebfliegen zur Bestäubung anlocken. Sind die Samen reif, springt die Fruchtkapsel explosionsartig auf und schleudert die Samen weit heraus, was der Pflanze den Namen Springkraut eingebracht hat. Das dem Samen anhaftende ölhaltige Anhängsel (Elaiosom) verschleppen und fressen die Ameisen gerne und tragen damit zusätzlich zur Verbreitung der Samen bei. Wegen des hohes Gehalts an Öl in den Samen beschäftigen sich Forscher mit der möglichen Verwendung von Euphorbia lathyris zur Herstellung von Biodiesel.

In Gärten wird sie gerne wegen ihrer angeblich Wühlmaus- und Maulwurf-vertreibenden Wirkung kultiviert. Deswegen nennt man sie auch Wühlmaus-Wolfsmilch oder Maulwurfkraut.

Einem so stark wirkenden Heilmittel wie der Kreuzblättrigen Wolfsmilch wurden früher auch magische Eigenschaften nachgesagt. So sollte sie die Kraft haben, Ketten und Fesseln zu sprengen, Schlösser von Türen und Toren zu öffnen, Felsen zu sprengen und Pferde die Hufeisen verlieren zu lassen, wenn sie zufällig auf die Pflanze traten.

 

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zuletzt bearbeitet am 1.VIII.2025