7. Aug. 2025

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Der Auerochse – ausgerottetes Wildrind unserer Wälder

 Karl Josef Strank

Im Nibelungenlied geht der Recke Siegfried auf die Jagd in den urwüchsigen Wäldern Germaniens und erschlägt an einem Tag neben Elch und Wisent vier Ure. Der Ur oder Auerochse war das stärkste und gefährlichste Wild, das laut Cäsar etwas kleiner als Elefanten gewesen sein soll. Er berichtet ferner, dass die jungen Männer ihn in Grubenfallen trieben; die mächtigen Hörner präsentierten sie der Stammesgemeinschaft als Beweis ihres Mutes. Die letzten Ure – in einer Herde im Wald von Jaktorów nahe Warschau in landesherrschaftlicher Obhut gehalten - starben 1627 aus.

Im Wildgehege Neandertal wie auch in etlichen anderen Tierparks in Deutschland wird der Eindruck vermittelt, der Auerochse würde noch existieren. Die dortigen Tiere sind jedoch nicht durch Rückzüchtung wieder erstandene Auerochsen, sondern Heckrinder, eine in den 1920er Jahren entstandene Hausrinderrasse. Benannt ist sie nach den Brüdern Heinz und Lutz Heck, die damals Leiter der Tiergärten in München und Berlin waren. Sie kreuzten mehrere europäische Rinderrassen mit der Absicht, durch Zuchtwahl ein möglichst authentisches Abbild des ausgerotteten Auerochsen zu erhalten. Heinz Heck formulierte es so: „Ein anderer Grund lag in dem Gedanken, wenn der Mensch schon nicht daran zu hindern ist, gegen sich selbst und alle Kreaturen so irrsinnig zu wüten und die Tiere serienweise auszurotten, dass es dann eine sehr erfreuliche Sache ist, wenn wenigstens eine Tierart, die bereits ausgerottet ist (…) wieder zu neuem Leben aufersteht.“

Eine Herde Heckrinder in den Rieselfeldern von Münster


Die Heck-Brüder züchteten unabhängig von einander und verwendeten teils verschiedene Ausgangsrassen, entsprechend vielgestaltig waren die Ergebnisse. Das erste Heckrind war 1932 ein Stier namens „Glachl“. Daran beteiligt waren Korsisches Rind, Niederungsbulle, Anglerrind Steppenrind und Hochlandrind. Die Brüder hatten keine genaue Vorstellung vom Auerochsen und so hielten sie Exemplare mit langen Hörnern und wildfarbenem Fell bereits für eine Rückkreuzung des Urs und verkündeten dessen Wiederauferstehung.

Der Reichsjägermeister Hermann Göring griff diese Nachricht begierig auf und förderte das Zuchtprogramm, weil er den Auerochsen „auferstehen“ und auswildern lassen wollte. So wurden bereits 1938 erste Tiere in der Schorfheide sowie in der Rominter Heide, Görings Jagdrevier, freigesetzt. 1941 erfolgte eine weitere Ansiedlung, nachdem Göring den Wald von Bialowieza und umliegende Wälder in Nordostpolen in einer Größe von 260.000 ha zum „germanischen Urwald“ mit „urdeutschen“ Jagdtieren erklärt hatte. Das ging nicht ohne gewaltsame Vertreibung und die Tötung vieler Bewohner über die Bühne. Letztendlich verhinderte aber der weitere Kriegsverlauf das Vorhaben.

Den Krieg überlebten 39 Tiere, die alle aus der Münchener Zuchtlinie stammen; die Berliner Linie hatte das Glück nicht. Bei der Rückzüchtung haben das Korsische Rind, das Murnau-Werdenfelser-Rind, das Schottische Hochlandrind und Steppenrinder am meisten zum Erscheinungsbild der heutigen Heckrinder beigetragen. Sie sind deutlich kleiner als der ausgerottete Auerochse. Letzterer maß bis 180 cm im Widerrist bei massigem Körperbau. Die Heck-Bullen bis 140 cm sind schwarz mit gelbem Aalstrich auf dem Rücken. Die Kühe rötlich-braun mit dunklerem Hals. Bei beiden ist die Umgebung des Mauls weiß. Im Sommer ist das Fell samtartig glatt und kurz, zum Winter entwickelt sich ein längerer, rauer Pelz, der die Tiere gegen Temperaturen bis -25°C schützt. Ältere Tiere haben lange, kräftige, nach vorne geschwungene Hörner. Die Kälber sind anfangs hellbraun.

Heute gibt es schätzungsweise 2.000 bis 3.000 Heckrinder. Die Tiere sind genügsam, wetterhart und weitgehend krankheitsresistent. Sie gehören zu den Rinderrassen, die noch robust genug sind, ohne menschliche Obhut in der Wildnis zu überleben. Nachdem man die Rolle großer pflanzenfressender Weidetiere für intakte Ökosysteme erkannt hat, werden Heckrinder oft zusammen mit Wildpferden zur Landschaftspflege eingesetzt, so z.B. im Hutewaldprojekt des Naturparks Solling-Vogler.

 

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zuletzt bearbeitet am 1.IX.2025