21. Aug. 2025

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die Rosskastanie – Baum der Biergärten

 Karl Josef Strank

Wer an heißen Sommertagen den kühlen Schatten eines Biergartens in Bayern aufsucht, sitzt in der Regel unter dem Blätterdach älterer Exemplare der Rosskastanie. Diese Art stellt die wohl bekanntesten und schönsten Bäume in Bayern und ist die Biergartenbaumart schlechthin. Als der Kühlschrank noch nicht Standard war, legten die Brauhäuser in den Flussbetten der Isar Lagerkeller an, in denen das Bier das ganze Jahr über mit Eis gekühlt werden konnte. Als zusätzlichen Schutz vor der Hitze pflanzten sie Kastanien ans Ufer. Die spendeten im Sommer Schatten und deren Wurzeln beschädigten den Eiskeller nicht.

Die Rosskastanie ist ein ansehnlicher, sommergrüner Baum mit einer asymmetrisch breiten Krone aus überhängenden Ästen. Sie kann bis 25 Meter hoch werden. Auffallend sind die eiförmigen, rotbraunen Endknospen, die 2,5-3 cm lang und klebrig sind. Die Seitenknospen sind viel kleiner. Die gegenständigen Laubblätter sind fingerförmig gefiedert. Die Spreite mit Stiel ist 10-20 cm lang. Die 5-7 Fiedern sind länglich, verkehrt eiförmig, verschmälern sich am Grund keilförmig. Der Fiederrand ist doppelt gesägt. Im Herbst verfärben die dunkelgrünen Blätter nach goldgelb.

Die Blüten sind in endständigen, aufrechten, kegelförmigen, reichblütigen, 20-30 cm langen Scheinrispen organisiert. Die Blüten sind bis 2 cm groß, zwittrig oder männlich, fünfzählig mit doppelter Blütenhülle. Der Kelch ist glockig, die Kronblätter eiförmig mit langem Nagel, am Rand wellenförmig, weiss. Die beiden oberen Kelchblätter haben gefärbte Saftmale. Die 5-9 Staubblätter sind gebogen und ragen aus der Krone heraus. Der Fruchtknoten ist oberständig, dreifächrig und wächst zu einer 5-6 cm großen grünen bestachelten Frucht heran. Die 1-3 Samen sind rund oder abgeflacht, glänzen dunkelbraun mit einem großen weißen Nabel. Sie bereiten Kindern ein herbstliches Bastelvergnügen. Die Rosskastanie blüht im April/Mai und fruchtet im September/Oktober.

Die Blüten werden von Bienen und Hummeln bestäubt. Die am ersten Tag gelb gefärbten Saftmale signalisieren Bestäubungsfähigkeit und reichlich Nektar. Am zweiten Tag färben sie nach ziegelrot und am dritten Tag nach karminrot. Mit dem Farbwechsel ändert sich auch der Duft und die Nektarproduktion erlischt. Dieser besteht zu 40-76% aus Zucker, überwiegend Saccharose. Früchte entwickeln sich nur an den unteren Verzweigungen des Blütenstands. Die Samen enthalten bis zu 30% Stärke, 3-5 % Saponine sowie Bitter- und Gerbstoffe. Die Verwertung der Stärke scheitert an den Bitterstoffen. Aus den Saponinen machte man während des 1. Weltkriegs einen Seifenersatz. Das Holz ist wenig dauerhaft, die Stämme sind meist drehwüchsig. Es eignet sich als Kaminholz. Gut getrocknet hinterlässt es bei der Verbrennung wenig Rückstände oder Ablagerungen.

Bekannt wurde die Roßkastanie erst Ende des 16. Jahrhunderts in Europa. Ogier Ghislain de Busbecq, in diplomatischen Diensten der Habsburgermonarchie, sandte Tulpen, Hyacinthen, Flieder und sein Nachfolger 1576 Samen der Roßkastanie an den Arzt und Botaniker Carolus Clusius in Wien. 1612 gelangten Samen nach London, 1615 nach Frankreich und 1633 in die Niederlande. Lange Zeit vermutete man die Heimat im Gebiet um Konstantinopel. Der Botaniker Heldreich entdeckte 1879 natürliche Standorte in Nordgriechenland in Höhen zwischen 1000 und 1300 m zusammen mit Walnuss, Silber-Linde, Buche und Hainbuche und 1907 konnten diese auch für Bulgarien in Höhenlagen zwischen 380-500 m mit Walnuss, Hopfenbuche und diversen sommergrünen Eichenarten nachgewiesen werden.

Aufgrund der Inhaltsstoffe hat die Roßkastanie auch arzneiliche Bedeutung. Sie wirken auf das gesamte Gefäßsystem, speziell die Venen. Sie festigen das Gewebe, entwässern und fördern die Durchblutung.

Probleme bereitet ein Schädling, der sich in den letzten Jahren rasant ausgebreitet hat: die Roßkastanienminiermotte. Sie frisst sich durch das Blattgewebe, schwächt den Baum erheblich, der dann schon im August die Blätter abwirft. Befallene Bäume treiben im August/September noch einmal sog. „Angstblüten“.

 

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zuletzt bearbeitet am 1.IX.2025