9. Okt. 2025

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Der Waldrapp – krummschnäblig, kahlköpfig, pechschwarz, metallglänzend

 Karl Josef Strank

Dieser Vogel sieht eigenartig aus. Man könnte vermuten, er sei krank, denn sein Kopf ist kahl und fleischfarben, als hätten ihn Artgenossen gerupft wie bei Hühnern, die in zu engen Käfigen gehalten werden. Kahlköpfig wie er ist, hat er ein geierhaftes Aussehen, was aber nicht mit seinem gebogenen Schnabel zusammenpasst. Das lässt eher an einen Ibis denken. Da er auch kein Aasfresser ist, schließt das ersteres komplett ausschließt. Aufgrund seiner langen und kräftigen Beine stellte man ihn zu den Schreitvogeln, neuerdings eher zu den Pelikan-Ähnlichen. Wie dem auch sei, der Waldrapp stand kurz vor dem Aussterben und ist heute der Vogel eines ambitionierten und bemerkenswerten Arterhaltungsprojekts.

Ausgewachsene Waldrappe erreichen eine Körperlänge von 75 cm (Männchen) und 60 cm (Weibchen) bei einer Flügelspannweite von 125 bis 135 cm. Das Gefieder ist pechschwarz und glänzt metallisch. Nacken-, Rücken-, Flügelspitzen- und Schwanzfedern glänzen grünlich, die Flügelschultern violett bis rötlich. Der Kopf ist bei Altvögeln kahl und fleischfarben. Jungvögel sind „graufedrig“ (siehe Bild). Die stark verlängerten Nackenfedern wirken wie ein Schopf oder eine „wallende Mähne“ am Hinterkopf. Dieser Schopf kann in der Balz oder, wenn Gefahr droht, aufgespreizt werden. Die Geschlechter beim Waldrapp sehen gleich aus und unterscheiden sich lediglich in der Größe.

Waldrapp im Wuppertaler Zoo: Jung trägt er schon kurze, graue Federn, bevor er kahlköpfig wird.

Der entengroße Vogel war in Europa von Spanien, Frankreich, Schweiz, Deutschland, Österreich bis in den West-Balkan beheimatet und recht häufig. Da sie als Delikatesse galten, wurden sie im 17. Jahrhundert intensiv bis zur fast vollständigen Ausrottung bejagt. Die Zerstörung ihres Lebensraums tat ein Übriges.

Der Waldrapp lebt von Insekten und deren Larven. Würmer und Schnecken sowie deren Eigelege – mit dieser Eigenschaft würde er im biologischen Gartenbau die rabenschwarze Alternative zu den Laufenten darstellen – stehen ebenfalls auf seinem Speiseplan. Heuschrecken, Spinnen, kleine Säuger, Reptilien, Amphibien und pflanzliche Nahrung verschmäht er auch nicht. Hierzu sucht er frisch gemähte Wiesen, Feucht- und Auwiesen und Uferböschungen auf. Er ist anpassungsfähig, denn die Vögel der letzten Wildvorkommen in Marokko, Syrien und Äthiopien gehen auch auf Nahrungssuche in Trockensteppen und Halbwüsten.

Ein „Waldrapp kommt selten allein“, denn er ist ein geselliger Vogel, der sich in Kolonien von mehreren Dutzend Exemplaren zusammenfindet. In der Kolonie kommen sie in Brutstimmung, Einzelexemplare in Zoohaltung brüten nicht.

Waldrappe pflegen ein ausgiebiges Begrüßungsritual. Männchen und Weibchen werfen, sich gegenüberstehend, den Kopf mit aufgestelltem Schopf in den Nacken und verbeugen sich dann voreinander. Dabei lassen sie mehrfach ein gutturales „hrump“ hören und präsentieren dem Gegenüber ihren individuell gezeichneten Kahlkopf. Das Verneigungsritual wird einige Male wiederholt. Fängt ein Pärchen an, löst das in der gesamten Kolonie das Begrüßungsritual aus. Das passiert so immer wieder auch außerhalb der Balz- und Paarungszeit. Rivalisierende Männchen fechten gelegentlich Schnabelkämpfe aus, wenn Nester bedrängt oder Nistmaterial gestohlen wird. Bei diesen sog. Kommentkämpfen messen die Gegner ihre Kräfte, verletzen einander aber nicht.

Nachdem der Bestand freilebender Waldrappe auf etwa 200 geschrumpft war, etablierten sich mehrere Wiederansiedlungsprojekte mit dem Ziel, den Waldrapp in Europa erneut als Brutvogel anzusiedeln. In weiträumigen Volieren wurden Vögel nachgezüchtet. Ein großes Projekt gibt es in Waidhofen an der Thaya, Waldviertel in Österreich, in Deutschland in Überlingen am Bodensee und in Burghausen. Spektakulär sind die Versuche, den Vögeln ihr natürliches Zugverhalten wieder anzutrainieren. Hierzu begleiten Biologen, die auf sie geprägten Jungvögel mit Ultraleicht-Fliegern auf dem Weg in die Überwinterungsgebiete in die Toskana oder nach Südspanien.

 

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zuletzt bearbeitet am 5.XI.2025