8.April 2010

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Ob geometrisch klar oder natürlich wild - ein Garten spiegelt die Gesellschaft

Norbert Kloeters

„Der Garten ist der letzte Luxus unserer Tage, denn er fordert das, was in unserer Gesellschaft am seltensten und kostbarsten geworden ist: Zeit, Zuwendung und Raum.“ Dieser Satz stammt von einem der Wegbereiter der modernen Gartenarchitektur, dem 1998 verstorbenen Schweizer Landschaftsarchitekt Dieter Kienast.

Ein Ort der Langsamkeit

„Schneller, höher, weiter“, dieser ursprünglich im Sportbereich benutzte Slogan hat sich auf unser tägliches Lebensumfeld übertragen und viele Menschen sind nicht imstande, hier noch mitzuhalten. Die olympische Formel könnte bezüglich unseres Lebensumfeldes um den Begriff „komplexer“ ergänzt werden. In einem Zeitalter, in dem nur Auserwählte die vielfältigen Funktionsweisen eines so banalen Instrumentes wie dem Handy wirklich kennen oder gar verstehen, verwundert es nicht, dass Menschen sich dorthin zurückziehen, wo eher Langsamkeit eine Rolle spielt, wo Wachstum überschaubar und nachvollziehbar ist und wo Größe nicht wirklich der entscheidende Faktor zur Erlangung eines Glücksgefühls ist: in den Garten.

Doch nicht nur die Flucht vor dem Alltag ist es, die die Menschen in ihr kleines Paradies führt. Auch die zunehmende gesellschaftliche Auseinandersetzung mit ökologischen Fragen sowie die wachsende Bedeutung des Themas hat seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu einem allgemeinen Interesse am Thema „Garten“ geführt. Der Garten ist zu einem Zeitgeistthema mit Kultstatus geworden. Das Vorurteil, Gärten seien nur etwas für alternde Damen, die mit ihrer Zeit nichts Besseres anzufangen wüssten, wird derzeit allumfassend widerlegt. Die Auseinandersetzung mit dem Garten, so Paolo Bianchi, ein italienischer Künstler, ist “avantgardistisch und anachronistisch zugleich, also zukunftweisend wie altmodisch, somit retrovisionär, kurz: brandaktuell“. Dem Garten kommen heute weitaus umfangreichere Aufgaben als noch vor Jahren zu: Im Umgang mit dem Wachsen und Vergehen, mit Licht und Schatten, mit Erfolg und Misserfolg werden Wahrnehmung, Fantasie und Kreativität gefördert, die den Menschen Trost, aber auch Hilfe sein können im Hinblick auf die Gestaltung ihrer Lebenswelt.

Die Funktionen des Gartens sind Wandlungen unterlegen. Gärten sind ein Spiegelbild ihrer jeweiligen Gesellschaft. Der Garten repräsentiert die Geschichte und die sich wandelnden Naturvorstellungen vom antiken Arkadien bis hin zu globalen Ökosystemen. Im Mittelalter, wo der Mensch die Natur noch als Bedrohung empfand, wurde der Garten vor die Tore der Stadt verlegt und war keinesfalls Teil des täglichen Umfelds. Der Garten diente keinen rekreativen oder repräsentativen Zwecken, sondern fungierte ausschließlich als Nutzgarten. Im französischen Barockgarten des 17. Jahrhunderts wurde in Anlehnung an die Antike die Naturelemente in grammatikalische Abkürzungsformeln übersetzt: ein Rundbassin verkörperte das Meer, eine schattige Pergola den Wald. Die geometrische Anordnung des Gartens entsprach der Vorstellung der Welt von einem hierarchischen, göttlichen Machtgefüge. Der englische Gartentypus, der den französischen im 18 Jahrhundert ablöste, stand in völligem Gegensatz dazu. Geometrie wurde als Zeichen von Willkürherrschaft empfunden. Die in der Gesellschaft wachsenden bürgerlich-demokratischen Werte manifestierten sich in einer unberührt scheinenden „Natur“-Landschaft.

Naturgartenbewegung der 80er

Im krassen Gegensatz zu diesen Gartentypen, die zwei in sich stimmige Weltbilder verkörpern, die auf jeweils unterschiedlichen gesellschaftlichen und weltanschaulichen Weltbildern beruhen, steht die Naturgartenbewegung aus den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Einer der Wegbereiter für diese Bewegung war Louis Le Roy, ein niederländischer Architekt, der in seinen Vorgarten eine Lastwagenladung Bauschutt abkippen ließ und den Schuttkegel zum Garten erklärte. Entsetzte Nachbarn konnten beobachten, wie die Natur im Laufe der folgenden Jahre die Herrschaft über den Schuttkegel übernahm und sich tatsächlich eine kleine, grüne Idylle entwickelte.

Die darauf folgende „Ökobewegung“ am Ende des 20. Jahrhunderts hatte zur Folge, dass für einen gewissen Zeitraum jeglicher menschliche Eingriff im Garten verpönt war. Mittlerweile hat man sich wieder darauf besonnen, dass Gärtnern bedeutet einen Dialog mit der Natur zu führen, pflegende oder gestaltende Eingriffe sind nicht mehr „untersagt“. Im Gegenteil: zahlreiche Gärten strotzen derzeit nur so vor Gestaltungswillen.

Typisch für unsere heutige Zeit ist allerdings, dass mehrere Gartentypen gleichzeitig nebeneinander existieren. Hier der durchgestylte Garten als Fortführung der Architektur im Bauhausstil, dort die naturnahe „Wildnis“ als Kontrast zum nüchternen Wohnhaus. So, wie es nicht einen aktuellen Architekturstil gibt, existiert auch nicht nur ein Gartenstil. Jeder Gartenbesitzer soll nach seiner Vorstellung glücklich werden, alle vereint sicher der abschließende Spruch von Marcel Proust:

„…im Garten ist man gleichsam außerhalb der Welt, aber an einem bekannten Ort“.


 

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zuletzt bearbeitet am 4.IX.2010