17.Febr.2011

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die Verhüllung macht’s – vom Wildkraut zum beliebten Chicorée

Astrid von Reis

Chicorée hat Saison. Doch in den Geschäften und auch auf dem Markt muss man das gesunde, vitamin- und mineralstoffreiche Blattgemüse in den Auslagen oft suchen. Chicoréeliebhaber aber wissen: er liegt oft in Holzkistchen oder Kartons und ist lichtdicht mit meist lilafarbenem Papier bedeckt – Verhüllung, nicht nur zur Karnevalszeit!

Der vor allem in Belgien, Frankreich und den Niederlanden als Salat oder Gemüse genossene Chicorée – bis zu 8 Kilogramm pro Person sollen in Belgien verzehrt werden (die Deutschen essen etwa 1 Pfund pro Kopf) - ist ein Mitglied der Familie der Korbblütler. Seine vielen weiteren Namen wie Salatzichorie, Bleichzichorie, Treibzichorie, Brüsseler Salat, Chicon, engl.: witloof chicory, franz.: Chicoree witloof und auch der botanische Name Cichorium intybus L. var. foliosum geben Aufschluss darüber, dass die Pflanze so in der Natur nicht vorkommt.

Der Chicorée ist eine Varietät von der sparrig verästelten, bis 1 m hoch wachsenden Wegwarte oder wilden Zichorie, Cichorium intybus L., die im Sommer an Wegrändern, Verkehrswegen, Schutthalden wächst und mit vielen intensiv blauen Blüten die Blicke auf sich zieht.

Die heute in Eurasien verbreitete Wegwarte stammt vermutlich aus dem Mittelmeerraum, von da aus ist sie wohl schon in vorgeschichtlicher Zeit vom Menschen verbreitet worden. Sie findet vor allem als Heilpflanze bereits Erwähnung bei Horaz, Plinius, Vergil, Ovid und auch Dioskurides. Die Wegwarte gehörte vor allem durch die Bitterstoffe Lactucin und Lactucopikrin (veraltet Intybin) zu den sogenannten „bitteren Kräutern“, die v.a. als Beilage zu fettem Fleisch empfohlen wurden. Sie wird – bis heute zu - bei Verdauungsstörungen, Appetitlosigkeit, Leber-/ Gallenleiden und als Ersatz für einen Magenbitter empfohlen. Die älteste Erwähnung in Mitteleuropa findet sich im Capitulare de villis, der Landgüterverordnung Karls des Großen. ‚Intubas’ musste als Heilkraut angepflanzt werden.

Berichten zu folge erfuhr die Wegwarte, speziell ihre spindelförmige Rübe, dann seit dem 16. Jahrhundert eine weitere, große Bedeutung: die Wurzel wurde geröstet, der zu 15% enthaltene Zuckerersatzstoff Inulin wurde dabei z.T. zu Oximethylfurfurol (kaffeeähnliches Aroma), das ganze wurde aufgebrüht und fertig war der Zichorienkaffee.

Unter Friedrich dem Großen wurde der Anbau der Wegwarte stark gefördert, er wollte die Devisen für den teuren Bohnenkaffee sparen. Doch wie kommt es nun vom Zichorienkaffee zur Entdeckung des Chicorées? Da kommt die Verhüllung ins Spiel!

Zeitlich ist nicht ganz eindeutig, wann der Chicorée ‚enthüllt’ wurde, aber es scheint unstrittig, dass er ein Zufallsprodukt war: Um 1830, in den revolutionären Zeiten vor der Entstehung des belgischen Königreichs sollen Bauern in Brabant die bereits geernteten Zichorienwurzeln versteckt und mit Erde abgedeckt haben. Als sie sie wieder ausgruben, hatten sie schöne weiße Blätter (wit loof), die gut mundeten und gar nicht bitter waren. 1844 soll dann Monsieur Brésier, Chefgartenbauer am Botanischen Garten in Brüssel die ‚Verhüllung’ bewusst eingesetzt und den Chicorée gezüchtet haben. In einer anderen Version soll der Chicorée erst ab 1870 in Belgien gezüchtet worden sein, nach dem man nach einer reichen Ernte überschüssige Zichorienrüben im Gewächshaus gelagert und eingeschlagen hatte. Diese trieben dann große bleiche Knospen. Welche Variante auch immer, wichtig in allen Fällen ist die ‚Verhüllung’! Nur so bilden sich schöne weiße Blätter ohne Chlorophyll und die unerwünschten Bitterstoffe – auch wenn heutige Sorten durch weitere Züchtung kaum noch Bitterstoffe bilden.

Heute wird der Chicorée im Mai ausgesät, die Rüben im Herbst gerodet und mit gekürzten Rosettenblättern in Kühlräumen bis zu zehn Monaten gelagert. Nach Bedarf werden die Wurzeln dann für zunächst 2 Wochen einem künstlichen Winter mit 2 Grad Celsius ausgesetzt und anschließend in lichtdichten Hallen aufrecht in Kunststoffkisten gestellt, in welchen lediglich Wasser mit Nährstoffen zirkuliert. Nach einigen Tagen treiben aus der Endknospe und den Blattachseln der Rosettenblätter große Knospen mit eng ineinander gerollten bleichen, am Ende zartgelben bis hellgrünen Blättern, die dann zur Erntezeit nach etwa 25 Tagen gebrochen bzw. von der Wurzel geschnitten werden.


 

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zuletzt bearbeitet am 3.III.2011