4.Sept.2014
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Schrecken aller Gärtner, die Schnecke, kann tatsächlich auch von Nutzen sein
Ruth Gestrich-Schmitz
"Rötlich dämmert es im Westen, und der laute Tag verklingt, nur, dass auf den höchsten Ästen lieblich noch die Drossel singt. Jetzt, in dicht belaubten Hecken, wo es still verborgen blieb, rüstet sich das Volk der Schnecken für den nächtlichen Betrieb. Tastend streckt sich ihr Gehörne. Schwach nur ist das Augenlicht. Dennoch schon aus weiter Ferne wittern sie ihr Leibgericht …“, schrieb Wilhelm Busch über den Schrecken aller Gärtner.
Kürzlich stellte mir jemand die Frage, warum Schnecken, wenn sie ja doch nur Schaden anrichten, überhaupt eine Daseinsberechtigung haben. O.k., als Nahrung für Igel vielleicht. Oder Weinbergschnecken als Vorspeise in der französischen Küche. Aber sonst? Bei dem Begriff Schnecke fallen einem in erster Linie die fiesen Roten Wegschnecken ein, die bei nassem Wetter in Scharen unterwegs sind auf der Suche nach Nahrung. Nach dem milden Winter und beim diesjährigen regenreichen Sommer treten Schnecken in Massen auf und machen sich über Gemüse, Salate und Blumen her. Auch im Karlsgarten in Aachen-Melaten haben sie in diesem Jahr ganze Arbeit geleistet und beispielsweise Flaschenkürbis, Gurke, Zuckermelone und weißer Zaunrübe keine Chance gelassen.
Kaum zu glauben, dass sie auch von Nutzen sein können. Nicht alle Schnecken fressen mit Vorliebe nur frisches Blattgrün und Blütenknospen. Die meisten ernähren sich von totem organischem Material, Algen und Flechten auf Steinen und Bäumen, wofür sie ihre Raspelzunge (Radula) einsetzen. Schließmundschnecken oder der Baumschnegel kriechen bei Regen am Baumstamm hoch, um dort Algen oder Flechten abzuweiden. Schnecken helfen mit, abgestorbene, schwache und kranke Pflanzenteile zu vertilgen und auf dem Komposthaufen totes, organisches Material zu wertvollem Humus zu verarbeiten.
Trotz ihres schützenden Gehäuses und der hohen Schleimproduktion gehören Schnecken zum Beutespektrum vieler Tiere, nicht nur des Igels: Singdrosseln zertrümmern Gehäuseschnecken auf Steinen, Nacktschnecken sind eine der Lieblingsspeisen von Erdkröten, Schaufelkäfer sind durch ihren schmalen Körperbau befähigt, Schneckengehäuse auszufressen. Mit Hecken aus einheimischen Sträuchern, Totholz- und Steinhaufen kann man die Ansiedlung dieser Schneckenfeinde fördern.
Schnecken und deren Eier werden auch selbst von Schnecken gefressen! Der Tigerschnegel, eine in Deutschland weit verbreitete Nacktschnecke, greift andere Nacktschnecken an, lässt Nutzpflanzen in der Regel in Ruhe. Auch Glanzschnecken leben als Räuber von anderen Schnecken und Würmern. Die Knoblauch-Glanzschnecke (Oxychilus alliarius) mit ihrem honigfarbenen, hochglänzenden, leicht transparenten, bis zu sieben Millimeter breiten Gehäuse, zum Weichtier des Jahres 2014 gewählt, nimmt nur selten pflanzliche Kost zu sich. Lieber sind ihr sehr kleine Nacktschnecken (Länge weniger als ein Zentimeter), Schneckeneier und winzige Würmer. Gehäuseschnecken hält die Knoblauch-Glanzschnecke mit ihrem langen, schlanken Kriechfuß fest und streckt ihren Kopf samt Vorderkörper in deren Mündungsöffnung. Mit dem Kiefer und den spitzen Zähnen der Raspelzunge beißt sie in den Körper ihrer Beute und frisst das Gehäuse weitgehend leer. Knoblauch-Glanzschnecken leben meist in der Bodenstreu des Waldes und verströmen bei Berührung einen intensiven Knoblauch-Geruch. Der nach Knoblauch riechende Schleim hilft möglicherweise gegen Fressfeinde.
Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung fanden Hinweise, dass Schnecken eine Rolle im Ökosystem bei der Förderung der Artenvielfalt von Pflanzen auf bunt blühenden Wiesen spielen. Die Tiere verhindern, dass starke Pflanzen ihre schwächeren Konkurrenten verdrängen: Denn der Stress, den die Schädlinge durch ihren Fraß den größeren Pflanzen zufügen, schwächt diese offenbar so, dass andere Pflanzen größere Wachstumschancen haben. Auch bei der Verbreitung von Samen in feuchten Waldgebieten wirken die Schnecken mit: Die mit fett- und eiweißhaltigen Anhängseln ausgestatteten Samen von Buschwindröschen, Waldveilchen oder Haselwurz werden von Wegschnecken verschlungen und einige Meter weit wieder keimfähig ausgeschieden. Auf diese Weise können Schnecken die Verbreitung von Wildblumen vorantreiben und damit die Artenvielfalt in Buchenwäldern fördern.
Vielleicht sehen Sie ja jetzt beim nächsten Regen die Schnecken mit etwas anderen Augen.
zuletzt bearbeitet am 9.X.2014