16.Juli 2015
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Was ist ein echter Biergarten? Oder: Sehnsucht nach dem Andechser Gefühl.
Joachim Schmitz
An dieser Stelle wurden schon viele Gartentypen, Gartenregeln und Gartenpflanzen besprochen, ein besonderer Garten aber noch nie, eben der Biergarten. Heutzutage bewerben viele Gastronomen, die ein paar Tische im Freien stehen haben, das schon als Biergarten. Aber was ist denn jetzt ein echter Biergarten? Die Bayern reklamieren das gerne als ihre Erfindung und typisch bayerisches Kulturgut, und so gibt es tatsächlich eine Biergartenverordnung der Bayerischen Staatsregierung vom 20. April 1999. Darin steht: „Kennzeichnend für den bayerischen Biergarten im Sinne der Verordnung sind vor allem zwei Merkmale: der Gartencharakter und die traditionelle Betriebsform, speziell die Möglichkeit, dort auch die mitgebrachte, eigene Brotzeit unentgeltlich verzehren zu können, was ihn von sonstigen Außengastronomien unterscheidet.“
Was manche Zeitgenossen neuerdings unter Brotzeit verstehen, kann man sich in der Mediathek des Bayerischen Rundfunks unter folgendem Link anschauen: http://www.br.de/mediathek/video/sendungen/quer/quer-juli2011-biergarten100.html
Um die Entstehung von Biergärten zu erklären, ist ein kleiner Exkurs in die Mikrobiologie notwendig. Bei den für die alkoholische Gärung benötigten Hefen unterscheidet man grundsätzlich untergärige von obergärigen Sorten. Der Name bezieht sich darauf, ob die Hefen im Brausud oben schwimmen oder nach unten sinken. Obergärige Hefen vertragen höhere Temperaturen, die sie durch die heftige Gärung zum Teil selbst erzeugen.
Allerdings begünstigt das auch wilde Hefen und Bakterien, die bei der Gärung zu unerwünschten Nebenprodukten führen können. Untergärige Hefen funktionieren nur bei Temperaturen bis maximal neun Grad Celsius. Dafür war dann das Risiko von wilden „Querschlägern“ geringer. Vor allem in Süddeutschland waren deshalb untergärige Biersorten die Regel.
Im Sommer zu brauen, ging also nicht, zumal das eine Zeit lang sogar per königlich-bayerischem Erlass verboten war. Also musste man Methoden finden, wie man rechtzeitig vor der Sommerpause einen genügenden Vorrat bekommt.
Eine Möglichkeit war, durch eine höhere Stammwürze (im Klartext: höherer Zuckergehalt des angesetzten Suds) ein Bier mit höherem Alkoholgehalt zu erhalten, das deswegen auch länger haltbar war. Wahrscheinlich weil man diesen Sud im März angesetzt hat, heißt auch die Biersorte Märzen. Verbreiteter war die Methode, große Keller anzulegen, in denen das Bier gelagert wurde und durch im Winter gesammeltes Eis lange kühl gehalten werden konnte. Daher entstand der Name Kellerbier, worunter man heute nach der Definition des Deutschen Brauer-Bundes ein hefetrübes, kohlensäurearmes Bier versteht.
Meistens waren die Keller dicht unter der Erdoberfläche, weshalb man darüber als Schattenspender schnell wachsende und flach wurzelnde Bäume anpflanzte. Anfangs waren das Ahorne und Linden. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die aus dem Balkan stammende Rosskastanie zum verbreiteten Parkbaum und dann auch zum typischen Baum über Bierkellern. Parallel dazu wuchs das Bestreben der Brauereien, ihr Bier direkt an Ort und Stelle zu vermarkten.
Was lag da näher, als das direkt unter den Bäumen über dem Bierkeller auszuschenken? Da hatten allerdings die angestammten Wirtsleute etwas dagegen, die bis dahin das Schankmonopol hatten. Als Kompromiss kam dann heraus, dass die Brauereien zwar ihr eigenes Bier ausschenken, aber keine Speisen dazu verkaufen durften. So ist die Tradition entstanden, dass man im Biergarten seine eigene Brotzeit mitbringen darf.
Echte Biergärten im Sinne der Bayerischen Biergartenverordnung gibt es heute in der Region gar nicht mehr. Leider ist es oft so, dass Gaststätten mit wunderschönen alten Bäumen nichts daraus machen, weil sie eine stinknormale Speisekarte führen. Seltener ist das Umgekehrte: eine Karte mit biergartentypischen Speisen, aber eine Außenterrasse, der man gerade noch Gartencharakter zugestehen kann. Aber das von Herbert Achternbusch im gleichnamigen Film beschworene Andechser Gefühl will da einfach nicht aufkommen. Für Preußen: Andechs ist ein Kloster mit einem legendären Biergarten und einem noch legendäreren Bockbier.
zuletzt bearbeitet am 16.VII.2015