31. Mai 2018
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Leuchtende Saftmale weisen den Insekten den Weg zum Nektar
Joachim Schmitz
Heute weiß jedes Kind, dass Blüten Nektar erzeugen, um Insekten anzulocken, die dabei mit Pollen beladen werden, der beim Besuch der nächsten Blüte an der Narbe abgestreift wird, und so die Befruchtung sicher stellt. Vor gut 200 Jahren sah man das noch anders. Da bei den allermeisten Blüten männliche und weibliche Organe direkt nebeneinander stehen, schien es das Naheliegendste, Selbstbestäubung anzunehmen. Frühere Botaniker hatten zwar beobachtet, dass viele Blüten Nektar erzeugen, konnten sich aber so recht keinen Reim darauf machen. Erst der Berliner Botaniker Christian Konrad Sprengel fand die wirklichen Verhältnisse heraus, was er 1793 in dem Buch „Das entdeckte Geheimnis der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen“ veröffentlichte.
Nachdem Sprengel herausgefunden hatte, dass der Nektar für die bestäubenden Insekten produziert wird, machte er am Vergissmeinnicht eine weitere Entdeckung: „Ich fand nicht nur, daß dieſe Blume Saft hat, ſondern auch, daß dieſer Saft gegen den Regen voͤllig geſichert iſt. Zugleich aber fiel mir der gelbe Ring auf, welcher die Oeffnung der Kronenroͤhre umgiebt, und gegen die himmelblaue Farbe des Kronenſaums ſo ſchoͤn abſticht. Sollte wohl, dachte ich, dieſer Umſtand ſich auch auf die Inſekten beziehen? Sollte die Natur wohl dieſen Ring zu dem Ende beſonders gefaͤrbt haben, damit derſelbe den Inſekten den Weg zum Safthalter zeige? Ich betrachtete in Ruͤckſicht auf dieſe Hypotheſe andere Blumen, und fand, daß die mehreſten ſie beſtaͤtigten. Denn ich ſahe, daß diejenigen Blumen, deren Krone an Einer Stelle anders gefaͤrbt iſt, als ſie uͤberhaupt iſt, dieſe Flecken, Figuren, Linien oder Duͤpfel von beſonderer Farbe immer da haben, wo ſich der Eingang zum Safthalter befindet.“
Sprengel prägte für solche Färbungen und Zeichnungen der Blüte, die den Weg zum Nektar zeigen, den Begriff Saftmal. Saft nennt man heute Nektar und Safthalter Nektarium oder Nektardrüse; Saftmal ist aber bis heute Fachbegriff in der Blütenbiologie geblieben. Besonders typisch sind Saftmale für von Bienen (inkl. Wildbienen und Hummeln) besuchte Blüten. Bei Lippenblumen wie dem abgebildeten Hohlzahn (Galeopsis speciosa) fungiert die große basale Lippe als Landeplatz. Die Farbkontraste und die Strichzeichnung weisen den Weg zum Nektar am Grund der Blütenkrone. Auch bei radiären (strahlenförmigen) Blüten können Saftmale auftreten. Die Blüte muss dann waagerecht orientiert sein, damit die Biene darauf stehen kann, um an die Nektarien zu gelangen.
Den Zeitgenossen kam das ungeheuerlich vor. Nicht nur, dass Sprengel mit den Insekten alles viel komplizierter machte; jetzt sollten auch noch die schlauen Pflanzen den blöden Insekten den Weg zum Nektar zeigen. Eine Beobachtung an Knabenkräutern ließ Sprengel selbst an seiner Erklärung zweifeln: „Im Fruͤhjahr 1790 bemerkte ich, daß Orchis latifolia und Orchis Morio zwar voͤllig die Struktur einer Saftblume haben, daß ſie aber keinen Saft enthalten. Dieſe Bemerkung muͤſte, dachte ich anfaͤnglich, meine bisher gemachte Entdeckungen, wenn nicht gaͤnzlich uͤber den Haufen werfen, doch wenigſtens ſehr zweifelhaft machen. Denn da dieſe Blumen z. B. ein Saftmaal haben (ſo nenne ich den anders gefaͤrbten Fleck auf der Krone), und doch dieſes nicht fuͤr die Inſekten ein Wegweiſer zum Saft ſeyn kann, da kein Saft vorhanden iſt: ſo ſchien hieraus zu folgen, daß auch dieſes Saftmaal bey denen Blumen, welche wirklich Saft enthalten, nicht zu dieſem Endzweck da ſey, und folglich daſſelbe ein bloßes Hirngeſpinſt ſey.“ Letztlich kam Sprengel auch hier zur richtigen Lösung: Mit allen Merkmalen einer typischen Bienenblume täuschen die Knabenkräuter Nektar nur vor. Sprengel hatte das Prinzip der Täuschung in der Biologie entdeckt! Aus Sicht der Pflanze ist das scheinbar ein lohnendes Geschäft, denn die Produktion von Nektar kostet Energie und Reserven. Allerdings sind Bienen lernfähig und meiden schnell die Täuschblumen, so dass der Fruchtansatz geringer als bei Blumen ist, die ihre Bestäuber „ehrlich“ mit Nektar versorgen.
zuletzt bearbeitet am 26.VII.2018