30. Aug. 2018

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Münsterbirnen-Eis gibt es nur in Aachen

Hans-Jürgen Serwe

Das Birnenjahr begann vielversprechend Mitte April mit einer zeitigen Blüte und einem guten Fruchtansatz. Weder Spätfröste, Hagel noch sonstige Ereignisse traten auf, die den Obstbäumen abträglich waren. Alles lief gut bis zur großen Dürre von Juni bis August. In dieser Phase begannen die Birnbäume, massiv Früchte abzuwerfen. Je länger die Trockenheit dauerte, umso mehr. Und trotzdem blieben am Ende auf vielen der alten Bäume noch genug Früchte übrig für eine erträgliche Ernte, die dieses Jahr um den 17. August herum begann.

Bei den besagten Birnbäumen handelt es sich um die Münsterbirne, deren Exemplare 200 Jahre alt werden können. Die robuste Birne stellt die vermutlich älteste Obstsorte der Aachener Region dar. Die Lokalsorte findet sich ausschließlich zwischen dem Rursee im Süden und Heinsberg im Norden. Im Westen reicht das Verbreitungsgebiet nach Ostbelgien und in die grenznahen Orte der Niederlande hinein, im Osten bis in den Kreis Düren. In der obstbaukundlichen Literatur seit dem Mittelalter ist die Münsterbirne kaum beschrieben, lokalhistorische Quellen dazu gibt es nur wenige. Das Kataster alter Obstsorten der Biostation in Stolberg umfasst nur noch 70 Münsterbirnen auf 40 Standorten. Auf meinen Exkursionen habe ich allerdings mehr als 250 Altbäume gesehen, etliche davon in Ostbelgien. Die Einzelexemplare und Bestände sind alle überaltert und leider oft auch abgängig.

Die Münsterbirne ist ein landschaftsprägender Baum, der als starkwüchsiger Hochstamm mehr als 15 Meter hoch werden kann. Er fand sich früher oft einzeln als hausnaher Obstbaum alter Bauernhöfe oder als Baumgruppe auf den Weiden von Milchvieh. Die Münsterbirne als Frucht ist relativ klein – wie bei fast allen alten Obstsorten – und misst im Mittel rund sieben Zentimeter Länge. Ihr Fruchtfleisch ist beige weiß, schwach gelblich-weiß, etwas griesig, der Saftgehalt mittel. Die Schale und das Fruchtfleisch sind bissfest, aber nicht zu hart. Der Geschmack ist charakteristisch und sehr intensiv süß, aromatisch und würzig. Man kann sich das so vorstellen, als dass sich die gesamten Aromen einer riesigen Abate Fetel-Birne im Volumen einer kleinen Münsterbirne konzentrieren. Dazu kommt bei Vollreife eine Art „Honigton“ wie ich ihn noch bei keiner anderen Birne wahrgenommen habe und den man sogar äußerlich riechen kann.

Das Convivium Aachen von Slow Food kümmert sich seit einigen Jahren – neben Biostation und Nabu – um den Fortbestand der Münsterbirne. 70 Exemplare wurden inzwischen neu angepflanzt, in der Regel in Privatgärten. Ziel von Slow Food Aachen ist neben dem Erhalt der Kultursorte insbesondere ihre kulinarische Nutzung. Dazu wurden verschiedene Kooperationen in Aachen aufgebaut, um Münsterbirnen wieder für die Konsumenten verfügbar zu machen: Franz Josef Portz von der Eisdiele Delzepich am Adalbert-steinweg hat das erste Münsterbirnen-Eis der Welt produziert. Inzwischen sind bis zu fünf erprobte Münsterbirnen-Eisvarianten an manchen Sonntagen im Angebot. Viele Kunden probieren zum ersten Mal das Aachener Ur-Obst und sind angetan, die Älteren erinnern sich intensiv an die Aromen ihrer Jugend. Im Supermarkt HIT an der Schurzelterstraße werden Münsterbirnen versuchsweise als saisonales Obst angeboten und finden reißenden Absatz. Parallel dazu versuchen sich andere Kooperationspartner an Münsterbirnen-Chutney, Münsterbirnen-Marmeladen, Münsterbirnen-Senf und anderem mehr. Petra und Tom Emonts von der „KochNische“ im Frankenberger Viertel haben ein dreigängiges Menu mit Münsterbirnen gezaubert, dass nun zum zweiten Mal an zwei Abenden in der alten Abtei in Kornelimünster serviert wird. Mit den passenden Weinen genossen entschädigt so ein wunderbarer Abend für all die Mühen auf den Obstbaumleitern. Die Aachener Bäckerei Moss hat einen saisonalen Münsterbirnenkuchen im Angebot. Zur Zeit entsteht ein Kochbuch aus den vielen gesammelten und neu erprobten Rezepten. Und im November werden wieder Münsterbirnenbäume gepflanzt. Wer Interesse daran hat, kann sich gerne melden.

 

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zuletzt bearbeitet am 19.X..2018