31. Okt. 2019

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die Zirbelkiefer – die „Königin der Alpen“

 Karl Josef Strank

 

Wer in den Alpen an der Grenze der Almwiesen wandert, wo diese sich mit Geröllfeldern verzahnen, kennt die gebüschartig niederliegenden und selten über die Brust- bis Kopfhöhe aufwachsenden Latschenkiefern. In dieser Höhenstufe und darüber hinaus wächst aber auch noch eine andere Kiefernart, die bis zu 25 Meter hoch werden kann und entweder alleine im Reinbestand oder vergesellschaftet mit der europäischen Lärche die Charakterart des Arven-Lärchenwaldes darstellt: die Zirbelkiefer. In der Schweiz Arve genannt und mit botanischem Namen als Pinus cembra bezeichnet, ist die Zirbelkiefer im Wallis und im Oberengadin auf bis zu 2850 Metern Höhe noch zu finden.

Areallücke hinter den Karpaten

In Europa kommt die Arve in den Alpen und Karpaten vor. Ostwärts folgt eine etwa 2000 Kilometer große Areallücke. Von Russland über den Ural bis nach West- und Mittelsibirien gibt es ein weiteres Vorkommen. Die Alpen-Arve (Pinus cembra ssp. cembra) wird 20 bis 25 Meter hoch und entwickelt eine relativ breite Krone. Nadeln und Zapfen werden fünf bis acht Zentimeter lang und die Zapfen fünf Zentimeter breit. Die Sibirische Arve (Pinus cembra ssp. sibirica), in Russland „kedr“ genannt, wird bis zu 35 gelegentlich sogar 40 Meter hoch und entwickelt eine schmale, langschaftige Krone. Nadeln und Zapfen werden sechs bis 13 Zentimeter lang und die Zapfen fünf bis acht Zentimeter breit. Das sibirische Areal erstreckt sich vom 68. bis zum 45. Breitengrad. Dort besiedelt die Arve feuchtere, oft auch nasse Standorte. Im Altai-Gebirge steigt sie auf 2100 Meter.

Die Nadeln der Kiefern stehen in Büscheln an den Zweigen. Bei der Arve sind es fünf, die sich pinselartig, sehr dicht in Kurztrieben zusammendrängen. Die bis zu zwei Zentimeter langen Schuppenblätter an der Basis stehen locker. Die Kurztriebe stehen ebenfalls sehr dicht, was bei der Arve den Eindruck einer starken Benadelung hervorruft.

An die extremen klimatischen Bedingungen des Hochgebirges ist die Arve vorzüglich angepasst. Zum Wachsen benötigt sie eine frostfreie Vegetationsperiode von nur 70 Tagen. Die reifen Samen keimen erst im zweiten Frühjahr, am besten auf freien Flächen mit Rohhumus und wenig oder niedriger Vegetation, was an der Baumgrenze und auf den alpinen Matten der Fall ist. Arven benötigen etwa 50 bis 60 Jahre bis zur Blühfähigkeit. An natürlichen Standorten können sie das beachtliche Alter von 700 bis 1000 Jahren erreichen. Auch deshalb wird sie verehrend „Königin der Alpen“ genannt.

Ideale Wachstumsbedingungen für die Arve und auch die europäische Lärche bieten die inneralpinen Trockentäler. Viele Strahlungstage und geringe Nebelbildung sowie die enormen Temperaturschwankungen im Tages- wie auch im Jahresrhythmus mit einer Amplitude von +40° bis -40° C ertragen sie. Die Nadeln mit einem hohen Anteil an Ascorbinsäure frieren bei diesen Minustemperaturen nicht ein, bereits bei -5° C beginnen sie mit der Assimilation.

Enge Verbindung zu Tannenhäher

Eine enge symbiotische Verbindung haben Arven und Tannenhäher (Nucifraga caryocatactes). Arvensamen bilden die Hauptnahrung dieser „Nussknacker“. Lange glaubte man, der enorme Verzehr der Zirbelnüsse beeinträchtige die Naturverjüngung der Zirbeln. Untersuchungen haben aber genau das Gegenteil bewiesen. Die Vögel sammeln die Nüsse ab August/September und können bis zu 120 Samen in ihrem Kehlsack transportieren. Sie verbreiten diese horizontal (im Umkreis bis 15 Kilometer) und vertikal (innerhalb eines Höhenprofils von 600 Metern), indem sie bodennah zahlreiche Verstecke anlegen und diese mit Laubstreu oder Flechten tarnen. In guten Jahren verschleppt ein Vogel 100.000 Samen. Auf 80 Prozent der Verstecke greift er zu. Die restlichen Verstecke des Tannenhähers reichen völlig aus, um eine Naturverjüngung sicherzustellen und, weil die Samen auch außerhalb des Bestands verteilt werden, eine Verbreitung der Arven.

Die Almwaldnutzung hat die ehemals reichen Bestände ausgedünnt. Der Verbiss durch Vieh verhinderte den Aufwuchs. Das aromatische Holz der Arve ist sehr geschätzt. Das rötliche Kernholz dunkelt stark nach. Es ist harzreich, weich, zäh und sehr dauerhaft. Für Vertäfelungen im Innenausbau und als Möbelholz für Schränke, Betten, Stühle und Tische und zur Herstellung von Tellern und Schnitzereien wird es gerne verwendet.

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zuletzt bearbeitet am 1.I.2020