16. Juli 2020
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Schleimige Aliens im Garten: Myxogastria
Joachim Schmitz
Schleimige Monster, die alles verschlingen, was sich ihnen in den Weg stellt, kennt man allenfalls aus billigen Horrorfilmen. Aber sowas gibt es tatsächlich. Vielleicht haben Sie das sogar im eigenen Garten beobachtet. Irgendwo auf Laub oder Rasenschnitt bildet sich ein kleiner gelber Teppich, der rasch größer wird und so wandert. So schnell, wie er gekommen ist, wird er danach weißlich-grau und trocken und verschwindet dann ganz.
Es handelt sich um einen sogenannten Schleimpilz. Der Name ist allerdings sehr irreführend. Wegen der Art, Sporen in speziellen Fruchtkörpern zu bilden, wurden sie lange zu den Pilzen gestellt. Aber es gab schon immer Kriterien, die dagegen sprachen. In den Stadien, in denen sie überhaupt eine Zellwand ausbilden, und das sind die Sporen, besteht diese weder aus Chitin wie bei typischen Pilzen noch aus Zellstoff wie bei Pflanzen. Stattdessen besteht die Zellwand aus Galactosamin, das ist eine stickstoffhaltige Verbindung mit dem Zucker Galactose. Dieser Zucker ist übrigens auch Bestandteil des Milchzuckers Lactose.
Außerdem wurde das, was man früher als Schleimpilze (Myxomyceten) bezeichnet hat, heute in drei Gruppen aufgeteilt, die offensichtlich nur mäßig miteinander verwandt sind. Bei Wikipedia findet man auch die deutsche Bezeichnung „Echte Schleimpilze“, aber ich gehe lieber auf Nummer Sicher und benutze hier den anerkannten wissenschaftlichen Namen Myxogastria. Wie groß die Verwirrung selbst unter Wissenschaftlern ist, kann man auch daran ablesen, dass der Name Myxogastria erst 1970 geprägt wurde. Biologie-Foren gehen dem Problem übrigens dadurch aus dem Wege, dass da ein bisschen flapsig nur noch von „Myxos“ die Rede ist.
Die Gelbe Lohblüte (Fuligo septica) ist einer der häufigsten Schleimpilze.
Der Lebenszyklus eines „Myxos“ gehört zum Kompliziertesten in der Biologie. Aus einer Spore (mit einfachem Chromosomensatz) wächst ein Einzeller heran, der entweder wie eine Amöbe aussieht (Myxamoebe) und sich auch so bewegt, oder Geißeln trägt (Myxoflagellat) und sich damit bewegt. Aus welchen Gründen ist bis heute nicht ganz geklärt, aber irgendwann vereinigen sich zwei solcher Zellen. Es kommt aber dann keineswegs sofort zur Reifeteilung und Bildung von Sporen. Vielmehr folgen zahlreiche Kernteilungen, aber ohne, dass sich trennende Zellhüllen bilden. Das Resultat ist das sogenannte Plasmodium, eine Riesenzelle mit Hunderten oder noch mehr Kernen, aber alle in einem einzigen Zellplasma. Diese Plasmodien können sehr groß werden und das sind dann die gelben Monster, die man im Garten mit bloßem Auge sehen kann. Dann erst erfolgt die Reifeteilung und die Bildung der Sporen.
Es gibt also Lebensphasen, die völlig einem Einzeller gleichen, und solche, die eher einem Mehrzeller entsprechen (allerdings ohne Zellwände oder Zellhüllen). Erst durch molekulargenetische Untersuchungen ist klar geworden, dass es keine Mehrzeller sind, also definitiv nicht zu den Pilzen sondern eher in die Verwandtschaft der Amöben gehören. Heute werden sie zu der Gruppe Amoebozoa gestellt, zu der ausschließlich einzellige Organismen gezählt werden.
In der Systematik waren Pilze früher überhaupt ein großer Mülleimer, in dem man viel geparkt hat, was man nicht verstanden hat. Neben den „Schleimpilzen“ sind auch die „Algenpilze“ rausgeflogen. Das sind überwiegend Parasiten an Pflanzen, die Zellstoff als Wandmaterial haben. Heute interpretiert man sie als Algen, die sich zu Parasiten entwickelt und deshalb die Fähigkeit zur Fotosynthese verloren haben.
Selbst die typischen Pilze sind vielleicht nicht mehr als eigenständige Gruppe zu halten. Biologen haben sich schon immer darüber gewundert, dass Chitin sowohl als Zellwandmaterial bei Pilzen wie im Panzer von Gliedertieren vorkommt. Heute werden beide als Opisthokonta von gemeinsamen einzelligen Vorfahren abgeleitet.
zuletzt bearbeitet am 2.VIII.2020