10. Sept. 2020

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Neophyten – amerikanische Korbblütler am Rhein

 Joachim Schmitz

Sich aggressiv ausbreitende eingeschleppte Pflanzen sind heute ein verbreitetes Phänomen. Naturschützer wollen diese zurückzudrängen. Seit ein paar Jahren versucht eine NABU-Gruppe das Drüsige Springkraut im Aachener Stadtwald auszurupfen. Andernorts ist man dem Riesen-Bärenklau sogar mit dem Feuerwerfer auf den Pelz gerückt. Das mag zeitlich und lokal einen gewissen Erfolg haben. Dauerhaft vertreiben wird man diese Arten aber so nicht.

Diese Arten sind deshalb so erfolgreich, weil der Mensch durch die industrielle Revolution und die Intensivierung der Landwirtschaft tiefgreifend Biotope verändert hat, z.T. sogar neue, künstliche Biotope geschaffen hat, an die die heimische Vegetation nicht angepasst ist. Ob die Arten als Nutzpflanzen, Zierpflanzen, Bienenweide oder aus reinem Zufall eingeschleppt wurden, spielt überhaupt keine Rolle. Entscheidend ist, dass sie unter den aktuellen Bedingungen konkurrenzstärker sind.

Als Beispiel möchte ich auf den Gehalt an mineralischem Stickstoff näher eingehen, als Nitrat oder Ammonium, oder für chemische Laien: Stickstoffdünger. Noch vor 200 Jahren war die Brennnessel in Deutschland extrem selten und kam nur im Überschwemmungsbereich der großen Flüsse vor. Heute ist sie Allerweltspflanze. Das liegt daran, dass die Böden bei uns flächenhaft massiv überdüngt sind. Zum einen kommt das aus technischen Verbrennungen, z.B. im Automotor, bei denen Stickoxide entstehen, die mit dem Regenwasser zu Nitrit und Nitrat, also Dünger, weiterreagieren. Eine weitere große Stickstoffquelle ist heute die Güllewirschaft. Das belastet nicht nur die unmittelbar betroffenen Böden. Dabei wird auch gasförmiges Ammoniak freigesetzt. Man kann den Dünger schon kilometerweit riechen.

Zuerst von der Aufdüngung betroffen waren die großen Flüsse wie der Rhein. Aus landwirtschaftlichen Flächen abgeschwemmter Kunstdünger wurde von kleinen Bächen weiter transportiert und sammelte sich schließlich im Rhein. Da der Rhein über weite Strecken mit Mauern aus groben Steinblöcken verbaut ist, gab es kaum noch Fluten, die die Mauern übersteigen und die angeschwemmten Nährstoffe ins Umland verteilen konnten. Vielmehr sammelte sich das Sediment am Uferfuß. Dort findet man bis heute eine extrem stickstoffliebende Vegetation.

So haben sich dann viele Neophyten eingebürgert, die sich auf den bis dahin normalen, magereren Böden nicht hätten durchsetzen können. Aber am überdüngten Rheinufer konnten sie ihre aggressive Wüchsigkeit ausspielen. Besonders zahlreich sind dabei Korbblütler aus Amerika. Im zeitigen Sommer geht es los mit dem Einjährigen Berufkraut (Erigeron annuus, meistens in der Unterart septentrionale), dann folgen Goldruten (am häufigsten Solidago canadensis, seltener, etwas wärmeliebender und zwei Wochen später S. gigantea). Eine große Rolle spielen auch die Neuwelt-Astern. Da fängt es im Hochsommer an mit der Lanzettblättrigen Neuwelt-Aster (Symphyotrichum lanceolatum) mit weißen oder blass-violetten Blüten. Dann folgen mehrere weitere Verwandte inkl. Hybriden. Die Späteste ist die Bunte Neuwelt-Aster (S. x versicolor), die noch bis in den November blühen kann.

Topinambur am Rhein bei Andernach

Ebenfalls ziemlich spät blüht der Topinambur (Helianthus tuberosus). Da er in seinen Knollen Inulin statt Stärke speichert, war das mal die „Diabetiker-Kartoffel“. Die wenigsten wissen aber, dass das eine echte Sonnenblume ist und auch genauso blüht. Mein Herbarexemplar habe ich am Moselufer in Cochem gesammelt und musste mich da von jemand angeifern lassen, der geglaubt hat, ich würde da eine Sonnenblume aus einer öffentliche Anlage plündern; aber das war ein wilder Topinambur. Da die Knollen auch Ausläufer hervorbringen, bildet der Topinambur an der Mosel mehrfach Massenbestände aus. Wie das Foto zeigt, gibt’s ihn inzwischen auch am Rhein.

 

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zuletzt bearbeitet am 24.X.2020