18. März 2021

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Baumwasser – der süße Saft der Ahorne

 Detlef Sambale

Womit haben die Menschen vor etlichen Generationen ihre Speisen gesüßt? Neben dem Honig der Wildbienen oder eingedicktem Wildobst und anderen Fruchtzuckern griffen die Menschen auf die kohlehydrathaltigen Baumwässer zurück. In Mitteleuropa ist die Gewinnung von Baumwasser aus Ahornbäumen seit dem Mittelalter bekannt. Hildegard von Bingen schrieb im 12. Jahrhundert: „… ein Bad in Wasser, in dem die Zweige und Blätter des Ahorns gekocht wurden, verschaffe Linderung bei Fieber – sofern man zusätzlich Ahornsaft mit Wein trinke.“

Häufig wird das klare Baumwasser auch als Blutungssaft oder Baumblut bezeichnet. Im zeitigen Frühjahr wird mit zunehmender Temperatur die in Wurzel oder im Bast gespeicherte Stärke in Zucker umgewandelt. Der dadurch bewirkte Anstieg der osmotischen Saugkraft hat zur Folge, dass das im Boden vorhandene zuckerhaltige Wasser in dem Baum ansteigt. Der Baum steht dann „im Saft“ und es entsteht ein Überdruck in den Wasserleitsystemen da noch kein Wasser verdunstet werden kann.

Dieses „Rauschen“ des Transportes im Stamm ist auch in dem kleinen Gedicht „Bruder Ahorn“ von Josef Guggenmos (1922–-2003) beschrieben:

„Ich lege mein Ohr an den Ahorn, fast höre ich es schlagen, sein Herz“.

Acer saccharum subsp. nigrum


Zuckerhaltiger Blutungssaft

Alle Ahornarten haben einen zuckerhaltigen Blutungssaft. Neben Wasser enthält er Mineralstoffe, Fructose, Saccharose, Apfelsäure, Eiweiße und Glucose und mehr als 50 heilsame Stoffe. Für die kommerzielle Nutzung und Gewinnung des Blutungssaftes werden in Kanada vorrangig der Zuckerahorn (Acer saccharum subsp. saccharum), in kleinerer Menge der Schwarze Zuckerahorn (Acer saccharum subsp. nigrum/Foto: Sambale) und seltener auch der Eschenahorn (Acer negundo) genutzt. Alle drei Arten liefern einen hochwertigen Saft, der zu Ahornsirup (Englisch: Maple Syrup) verarbeitet wird. 100 Gramm Ahornsirup enthalten 260 kcal, allein 68 Gramm Zucker. Pro Baum können jährlich 20 bis 70 Liter Blutungssaft gewonnen werden.

Zu den wichtigsten Ahorngewächsen in unseren Breiten zählen der Bergahorn (Acer pseudoplatanus), der Spitzahorn (Acer platanoides) sowie der Feldahorn (Acer campestre). Das Baumwasser ist reich an Kohlehydraten, jedoch für eine kommerzielle Sirupgewinnung nicht ergiebig genug.

Im Mittelalter war die Technik der Gewinnung von Ahornsäften durch Anstechen der Stammrinde und Auffangen des Saftes vielerorts verbreitet. Ahornsaft diente zur Sirup-Herstellung und als Gärungshilfe zur Mostbereitung. Die Hirten in Europa tranken den Saft von Ahorn pur oder als weinähnliches Getränk zur allgemeinen Stärkung, zur Besänftigung des Hungergefühls sowie zur Einnahme der heilwirksamen Stoffe. Dieses Wissen nutzten auch die Bauern. Sie gaben ihrem Nutzvieh, das während des langen Winters abgemagert war, den Saft täglich zu trinken.

Die Bedeutung des Ahornsirups als Süßungsmittel hatte Ende des 18.Jahrhunderts in Deutschland ihren Höhepunkt, als die Preise für den importierten Rohrzucker in die Höhe schossen. Die Nutzung der heimischen Zuckerquellen weitete sich aus, als Napoleon 1813 durch die Kontinentalsperre die Einfuhr von Rohrzucker aus den britischen Kolonien verhinderte. Um die Bäume zu schonen und Missbrauch zu unterbinden, wurden zu dieser Zeit „Regeln für die Baumwassergewinnung“ aufgestellt. Interessante Angaben dazu sind bei G. Th. Fechner in „Das Hauslexikon von 1834“ nachzulesen. Aus diesem Lexikon stammt auch folgende Anleitung zur Gewinnung von Ahornsirup:

„Man sammelt den Saft aller 12 oder 24 Stunden, da er bei längerem stehen gären würde, erhitzt ihn, schäumt ihn ab, stellt ihn zum Abklären einen Tag lang in einem hohen Gefäße hin, gießt ihn ab und dampft ihn zu Honig- oder Syrupconsistenz ein, worauf man ihn noch in flachen Gefäßen an einem warmen Orte langsam austrocknen lassen kann. So erhält man einen schönen gelblichen, angenehm süß schmeckenden (…) Zucker.“

 

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zuletzt bearbeitet am 6.IV.2021