15. April 2021

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die Schuppenwurz lebt im Verborgenen

 Karl Josef Strank

Schon der Name lässt ahnen, dass es sich bei der Schuppenwurz um eine besondere Pflanze handelt. Wer jetzt im Frühjahr über maulwurfshügelige Erdaufwerfungen direkt in Stammnähe von Bäumen ins Grübeln kommt, weil Maulwürfe ihre Haufen eher in der Wiese, auf dem Rasen jedenfalls im freien Gelände bauen, der wundert sich nicht schlecht, wenn er diese näher in Augenschein nimmt und feststellt, dass aus diesen „Maulwurfshügeln“ oft herdenweise fleischige Stiele dringen, an denen zahlreiche zu einer Seite gewendete Blüten stehen. Farblich weiß, fahl und bleich mit stellenweise rosa überlaufenen Blüten. Die Schuppenwurz hat kein Blattgrün, betreibt demzufolge keine Photosynthese und muss auf andere Weise die notwendigen Nährstoffe gewinnen.

Die Blüten werden von Bienen insbesondere Hummeln, die auch bei niedrigen Temperaturen schon fliegen, besucht. Diese machen das nur, wenn es auch was zu holen gibt. In der Tat liegt im Innern der Blüte, tief an der Basis des Fruchtknotens, eine Drüse, die den Nektar in eine Rinne der verwachsenen Kronblätter absondert. Die empfängnisfähige Narbe reckt sich bereits sehr früh aus der Blütenhülle hervor. Die Staubblätter und Pollen reifen später. Durch die zeitliche Trennung von weiblicher und männlicher Blühphase kommt es in der Regel zur Fremdbefruchtung. Sollten witterungsbedingt oder aus anderen Gründen die Blüten in der Erde verbleiben, ist auch Selbstbestäubung möglich. Das Blühverhalten der Schuppenwurz ist soweit normal.

Interessant ist, was sich im Verborgenen in der Erde abspielt. Dort streichen mehrere bleiche Triebe, die sich auch verzweigen und an deren Enden die Blütenstände entstehen. Die Blätter stehen gegenständig in vier Zeilen eng beieinander und sind als sich randlich überlappende, ovale, dickfleischige Schuppen ausgebildet. Auf der Blattunterseite, das ist die Außenseite der Schuppe, öffnet sich an der Basis eine taschenförmige Vertiefung, von der aus gangartig, wie Stollen in einem Bergwerk, Kammern, die seitlich ausgesackt, mitunter am Ende sogar verzweigt sind, ausgehen. Wegen dieser Ausbildungen werden die Schuppen auch als Kammerschuppen bezeichnet. Um zu verstehen, welche Funktion sie für die Pflanze haben, muss man zunächst noch einen Blick auf die Wurzeln der Schuppenwurz werfen.

 Diese suchen nämlich sehr schnell den Kontakt zu anderen Wurzeln, die durch das Erdreich streichen. Diesen legen sie sich eng an und überziehen sie mit oft perlschnurartig aufgereihten Saugorganen, sogenannten Haustorien. Aus denen wachsen Zellen zu den Wasserleitbahnen (Xylem) des Wirtes. Die Leitbahnen der Assimilate (Phloem) werden nicht angezapft, was für einen Vollparasiten, zu denen man die Schuppenwurz rechnen muss, weil sie kein Blattgrün hat, ungewöhnlich ist. Sie kann sich das leisten, so vermutet man, weil der Saft im Frühjahr genügend Assimilate transportiert und sie damit den Energieaufwand für Wachstum und Reproduktion in Form von Blüte und Samenbildung decken kann. Zeitweise vermutete man, dass sich die Schuppenwurz zusätzliche Nährstoffe durch das Fangen und Verdauen von Kleinstlebewesen des Bodens in den Kammern der Schuppen verschafft. Die Kammern sind aber nur mit einer Vielzahl von Hydathoden ausgestattet, die Wasser ausscheiden. Auf diese Weise erzeugt sie den nötigen Saugdruck, um den nährstoffreichen Frühjahrssaft der Bäume anzuzapfen. Das würde auch die Blüte im zeitigen Frühjahr erklären, denn sie schließt den gesamten Lebenszyklus ab, bevor die Bäume ihr Laub entfalten und selbst den Saft absaugen. Bevorzugte Wirtspflanzen sind Haselnuss und Erle in feuchten Au- und Schluchtwäldern. Mit botanischem Namen heißt die Schuppenwurz, Lathraea squamaria L., von griechisch lathraios für verborgen und lateinisch squama für Schuppe. Es ist wohl der verborgenen Lebensweise und der langsamen Entwicklung im Erdreich geschuldet, dass die Schuppenwurz erst nach zehn Jahren oder noch später zum ersten Mal Blüten hervorbringt.

 

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zuletzt bearbeitet am 10.V.2021