26. Aug. 2021

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die ungeheure Vielfalt der Brombeeren

 Joachim Schmitz

Jeder glaubt zu wissen, was Brombeeren sind. Dabei gehören sie zum Schwierigsten in der Botanik überhaupt. Das liegt an der besonderen Art der Fortpflanzung. Sie bilden zwar Blüten und scheinbar normale Früchte aus. Die Samen in den Früchten sind aber ungeschlechtlich entstanden, nicht aus der Vereinigung von Pollen- und Eikern. Es kommt also nicht zu einer Vermischung des elterlichen Erbguts, sondern die Nachkommen sind identische Kopien der Mutterpflanze.

Das führt dazu, dass jede Mutation von ihrer Entstehung ab stabil weitervererbt wird. Im Laufe von Jahrtausenden entsteht so eine Vielzahl von Formen, die alle Übergänge bilden können. Da es keinen genetischen Austausch mehr gibt, ist eigentlich jeder Strauch eine Art für sich. Als Botaniker noch keine Ahnung von Evolution und Genetik hatten, sind tatsächlich Brombeeren als neue Art beschrieben worden, von denen kein zweites Exemplar mehr gefunden werden konnte.

Bei den Brombeeren ist noch ein weiterer Evolutionsfaktor dazugekommen. Vor der Eiszeit gab es in Europa wie heute noch in Amerika nur Brombeerarten, die sich ganz normal geschlechtlich vermehrt und die ungeschlechtliche Vermehrung nur als „Notnagel“ bei fehlender Bestäubung benutzt haben. Dann kam die Eiszeit und die damalige Flora geriet in die Zange zwischen den von Norden vorrückenden polaren Gletschern und den aus den Alpen nach Norden vorstoßenden Gletschern. Dabei sind in Europa viele Arten ausgestorben, darunter auch fast alle Brombeerarten, die es bis dahin gegeben hatte. Nicht aber ihre Hybriden! Hybriden besitzen zwei Sätze verschiedener Erbinformationen und sind deshalb oft vitaler und widerstandsfähiger. Das Dumme ist nur, dass wegen der nicht zueinander passenden Chromosomensätze auch keine sexuelle Vermehrung mehr möglich ist. Diese Barriere konnten die Brombeeren durch ihre besondere Art der ungeschlechtlichen Vermehrung durchbrechen.

So gibt es alle möglichen Wuchsformen von kriechend bis mannshoch aufrecht. Am größten ist die Vielfalt bei den Auswüchsen der Haut. Wie die verwandten Rosen besitzen auch Brombeeren Stacheln, die in allen Variationen von kleinen Nadeln bis regelrechten Fleischerhaken auftreten können, und das kann auch bei ein und derselben Art variieren. Das kommt z.B. bei einer Artengruppe vor, die sinnigerweise „Stachelschwein-Brombeeren“ (Hystrices) heißt. Deren Schößlinge sind ein lebender Stacheldraht. Das Gleiche gilt für Haare, die einfach, an der Spitze gabelig oder sogar sternförmig in viele Härchen geteilt sein können. Und dann gibt es auch noch Drüsenhaare, die am Ende ein klebriges Sekret ausscheiden, was in der Lupe als winziges Kügelchen zu erkennen ist. Darüber hinaus können diese Auswüchse an unterschiedlichen Teilen der Pflanze anders ausgeprägt sein, z.B. besitzen die „Zweifarbigen Brombeeren“ (Discolores) Blätter, die nur auf der Unterseite durch dichte Sternhaare weiß aussehen.

Die im westlichen Rheinland nicht seltene Rosarote Brombeere (Rubus rosaceus) hat Triebe wie Stacheldraht.

Weil es keinen genetischen Austausch durch geschlechtliche Vermehrung gibt, werden Brombeerarten morphologisch, also klassisch nach ihren Merkmalen definiert. Aus praktischen Gründen hat man sich darauf geeinigt, nur solche Formen als Arten anzuerkennen, deren Verbreitungsgebiet mindestens 50km Durchmesser hat. So kommt man auf etwa 220 Brombeerarten in Deutschland.

Die meisten sind nur von Spezialisten bestimmbar. Nur wenige Arten sind auch von Laien sicher ansprechbar. Die Schlitzblättrige Brombeere (Rubus laciniatus) ist durch ihre stark eingeschnittenen Fiederblätter unverwechselbar. Die Armenische Brombeere (Rubus armeniacus) ist vermutlich als Gartenpflanze der Sorte „Theodor Reimers“ nach Deutschland gekommen. Ihre Kennzeichen sind daumendicke, riesige Triebe (über 2m), die zumindest in der Sonne braunrot anlaufen, große Stacheln, unterseits weißfilzige Blätter und rosa Blüten haben. Die Art ist ein Kulturfolger und macht sich oft an Straßen- und Eisenbahnböschungen breit, z.B. in Aachen am Haltepunkt Schanz und am Westbahnhof.

 

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zuletzt bearbeitet am 4.X.2021