6. Jan. 2022

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Weihrauch und Myrrhe – einst so wertvoll wie Gold

 Christina Paulson

Gold, Weihrauch und Myrrhe waren der Legende nach die Mitbringsel der drei Weisen aus dem Morgenland für das neugeborene Jesuskind. Sowohl das Harz von Myrrhe als auch das von Weihrauch gehörten damals zu den wertvollsten Handelsgütern. Sie waren ebenso begehrt und teuer wie Gold. Beide Harze stammen von Bäumen, die in den Trockengebieten Nordafrikas und des Nahen Ostens beheimatet sind und zur Familie der Balsamgewächse (Burseraceae) gehören.

Weihrauch-Harz wird vor allem vom bedornten Baum Boswellia sacra (Heiliger Weihrauch) gewonnen. Mit tiefen Schnitten ritzt man die Rinde der Weihrauchbäume ein, dann tritt ein klebriger Milchsaft aus, der an der Luft zu Harz erhärtet. Nach drei Wochen kann man das getrocknete Harz vom Baumstamm kratzen. Die Harzausbeute pro Baum hängt von Alter, Größe und Zustand des Baumes ab und liegt zwischen zwei und zehn Kilogramm.

Schon vor 4000 Jahren entstand die Weihrauchstraße als eine der ersten Handelsrouten der Welt, um den Weihrauch aus seiner Ursprungsregion im heutigen Oman in Karawanen an seine Bestimmungsorte zu transportieren: über den Jemen ins heutige Saudi-Arabien sowie zu Mittelmeerhäfen und nach Damaskus. Die alten Ägypter räucherten mit Weihrauch bei besonderen Ritualen und religiösen Kulthandlungen in ihren Tempeln, benutzten ihn zur Einbalsamierung ihrer Toten sowie als Zutat zu Wundheilungs-Salben.

Heute sollen in christlichen Kirchen jährlich ca. zehn Tonnen Weihrauch verräuchert werden: als Symbol für die Anwesenheit Gottes und des Heiligen Geistes sowie als Meditationshilfe für Mönche. Der Weihrauch-Duft erzeugt eine feierliche, meditative Atmosphäre und diente früher auch dazu, die Raumluft in den z.T. feuchtkalten und als Grabstätte für bedeutsame Tote dienenden Gotteshäusern zu desinfizieren und schlechte Gerüche zu überdecken. Das im Weihrauch enthaltene, durch Wasserdampfdestillation gewonnene ätherische Öl besitzt wie alle anderen ätherischen Öle eine keimtötende Wirkung. Weihrauch aus Somalia enthält besonders viel ätherisches Öl und ist deshalb in der Parfümindustrie zur Herstellung sinnlicher Duftmischungen begehrt.

Der teuerste Weihrauch (Boswellia serata) kommt heute aus Indien: Er gilt in der dortigen Ayurveda-Medizin vor allem als Entzündungshemmer. Auch in der westlichen Medizin bahnt sich Weihrauch seinen Weg derzeit als entzündungshemmendes Arzneimittel. Aktuell untersuchen Wissenschaftler Präparate aus Weihrauch für die Therapie chronisch entzündlicher Darm-Erkrankungen sowie Polyarthritis. Studien zeigten außerdem einen Heileffekt bei Asthma.

Auch Myrrhe ist das Harz eines großen Strauchs oder kleinen dornigen Baums mit dem botanischen Namen Commiphora myrrha oder Commiphora molmol.

Sein Harz wird ebenso wie beim Weihrauch durch Einritzen der Rinde gewonnen. Schon im Altertum bildete Myrrhenharz den wichtigsten Bestandteil des heiligen Salböls. In altägyptischen Texten ist seine vielfältige medizinische Nutzung u. a. in Rezepturen zur Behandlung von Husten und zur Versorgung von Wunden belegt. Heute setzt man in Europa Zubereitungen aus Myrrhe wegen seiner zusammenziehenden, entzündungshemmenden und antimikrobiellen Eigenschaften vor allem bei Entzündungen der Haut, der Schleimhäute im Mund- und Rachenbereich sowie des Darms ein. Besonders bei Verdauungskrankheiten, die mit Durchfall und Darmkrämpfen einhergehen, hat sich die Myrrhe aufgrund ihrer krampflösenden Wirkweise bewährt. In Kombination mit Kaffeekohle und Kamille kommt Myrrhe als fertiges Arzneimittel seit langem zur Unterstützung der gesamten Magen-Darm-Funktion zum Einsatz.

Der interdisziplinäre Studienkreis „Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ hatte im vergangenen Jahr 2021 den Myrrhenbaum aufgrund seiner Bedeutung in der Kultur- und Medizingeschichte sowie seines Potentials für die zukünftige medizinische Nutzung zur Arzneipflanze des Jahres gewählt. Sie wird im Neuen Jahr 2022 vom Mönchspfeffer (Vitex agnus-castus) abgelöst. Dieser ist im Mittelmeergebiet beheimatet und seine pfefferartigen Früchte sind vor allem in der Frauenheilkunde hilfreich.

 

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zuletzt bearbeitet am 1.II.2022