20. Jan. 2022

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Regional und saisonal statt global

 Karl Josef Strank

Die Eskimos leben von Robben und Walen. Das Rentier ist für die Bewohner Skandinaviens und Sibiriens wichtig und für die nomadische Kultur der Prärieindianer Nordamerikas spielte der Bison die zentrale Rolle. Die Indios Mittel- und Südamerikas hatten Mais, Kürbisse, Bohnen und Kartoffeln. Küstenbewohner weltweit ernähr(t)en sich überwiegend von Fisch und in Asien sind Reis und diverse Gemüse von Bedeutung. Im Mittelalter wie auch heute ist Brot in Europa ein Grundnahrungsmittel. Weizen, Reis, Hirse, Linsen und Bohnen stehen in Afrika auf dem Speiseplan. Die Nahrungspalette ist aber wesentlich breiter als das, was bisher aufgezählt wurde. Ernährungsphysiologisch ist der Mensch ein Allesfresser. Was nicht giftig ist und in Notzeiten auch Sachen, die normalerweise als ekelig gemieden und abgelehnt werden, treibt der Hunger hinein. Menschen sind sehr neugierig und erfinderisch in der Nutzung natürlichen Nahrungsressourcen.

Ein großer, weltweiter Austausch fand mit der Entdeckung Amerikas, der „Neuen Welt“, statt. Die alte Welt hatte u. a. Weizen, Reis, Kohl, Rüben, Zwiebeln und Zuckerrohr zu bieten. Dafür bekamen wir Mais, Kartoffeln, Kürbis, Tomaten, Feuerbohne und anderes. Von den Genussmitteln wanderten Tabak und im Gegenzug Kaffee über den großen Teich. Hat der Tabak für die Indianer eine spirituelle und zeremonielle Bedeutung (Friedenspfeife), so ist die exotische „Kolonialware“ Tabak in Europa in erlesenen, adligen Zirkeln, den sogenannten Tabakskollegien, eingeführt worden, bevor sie allgemein verfügbar wurde.

Als die Kartoffel aus Amerika kam, wurde sie zunächst in Botanischen Gärten wegen ihrer schönen Blüten kultiviert. Anfangs vergifteten sich einige sogar, weil sie fälschlicherweise das Kraut aßen anstelle der Knollen. In Deutschland wurde die Kartoffel schließlich unter Friedrich den Großen in Preußen verbreitet, heute ist sie mit vielen Sorten ein Grundnahrungsmittel. Der Kakao stammt aus Südamerika. Inkas und Azteken bereiteten daraus ein bitter schmeckendes Getränk. Aus dem Wort „xocóatl“ entstand unsere Bezeichnung Schokolade. Das europäische Schokoladenland ist die Schweiz. Der jährliche pro Kopf Verbrauch ist mit rund 9 kg in Deutschland aber fast so hoch wie dort. Was wäre die Süßwarenindustrie und wie wäre unser Leben ohne Kakao?

Was mit der Kolonialisierung verstärkt einsetzte, wird durch die Globalisierung noch bei weitem übertroffen. Lebensmittel aus den entferntesten Weltgegenden sind heute nahezu ganzjährig verfügbar. Doch welchen Sinn macht es, für den Whisky oder Gin jahrtausendealtes Gletschereis aus dem Himalaya oder den Anden zu beziehen, im Winter Erdbeeren aus Südafrika oder Äpfel aus Neuseeland? In der Nordsee gefangene Krabben werden in Marokko gepult, kommen zurück und werden in Deutschland für den Handel verpackt. Die Zutaten und einzelne Zubereitungen von Joghurt kommen aus einer Vielzahl von Ländern. Die internationalen Wirtschaftsbeziehungen und die moderne Transportlogistik – unter enormer Aufwendung von Energie – machen das möglich.

Der Winter muss aber nicht als die Zeit des Verzichts empfunden werden, denn er hat einiges zu bieten, was der Sommer nicht hergibt. Rotkohl, Rosenkohl und Grünkohl sind typische Wintergemüse. Chicorée, die aus den Wurzeln der Zichorie getriebenen weiß gelblichen, länglichen Blattzapfen sind vitaminreich und schmecken leicht bitter. Feldsalat gibt es ebenfalls in Herbst und Winter und von Porree gibt es spezielle Wintersorten, die sogar Frost aushalten. Sauerkraut wird durch Milchsäuregärung von Weiß- und Spitzkohl konserviert. Typischerweise kommt es im Winter auf den Tisch, was Sinn macht, denn es ist vitaminreich und beugt der früher in dieser Jahreszeit häufig auftretenden (Vitamin-)Mangelkrankheit Skorbut vor. Eine Winterdelikatesse sind ebenso die milchsauer vergorenen Schnippelbohnen. Auch auf Obst muss nicht verzichtet werden, denn es gibt eine große Auswahl an Dörrobst. Nüsse liefern wertvolle Fette.

Sich regional und saisonal statt global zu ernähren ist abwechslungsreich. Der „bewusste Genuss der Jahreszeiten“ kann sogar Spaß machen.

 

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zuletzt bearbeitet am 1.II.2022