3. Febr. 2022
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Die Amsel - vom scheuen Waldvogel zum Stadttier
Joachim Schmitz
Bald kommt die Zeit, dass man sich wieder über einen mit Moos und Erde verdreckten Bürgersteig wundern kann. Das ist das Werk von Amseln. Auf der Suche nach Nistmaterial wühlen sie auch Regenrinnen durch und schmeißen dabei allerlei über Bord. Sie suchen nach Schlamm oder Lehm, mit dem sie das Nest aus Zweigen, Pflanzenresten usw. verfestigen. Mir selbst hat eine Amsel frisch auf dem Balkon angesetzte Saattöpfchen durchwühlt, was meine Tierliebe doch auf eine harte Probe gestellt hat.
Dass sie sich auch in der Stadt umtun, ist noch gar nicht so lange her. Ursprünglich galt die Amsel als scheuer Waldvogel. Der legendäre Biologielehrer Otto Schmeil schreibt in seinem Lehrbuch der Zoologie (48. Aufl. 1927): „Etwa seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts aber hat sie sich in Gärten und Anlagen angesiedelt, so daß sie selbst in Großstädten überall häufig anzutreffen ist. Hierbei machte ihre frühere Scheu einer fast spatzenhaften Dreistigkeit Platz.“
Tatsächlich kann man heute regelrecht Wald- und Stadtamseln unterscheiden. Im Aussehen gleichen sie sich und genetische Abweichungen sind mir nicht bekannt; aber ihr Verhalten ist deutlich anders.
„Waldamseln“ sind nach wie vor eher scheu, brüten zweimal im Jahr und halten sich auch in den oberen Etagen von Wäldern auf. „Stadtamseln“ bewegen sich mehr bodennah, wobei sie die unmittelbare Nähe des Menschen nicht stört. Wie bei domestizierten Tieren ist auch für Kulturfolger wie die Stadtamsel typisch, dass die Zahl der Vermehrungszyklen erhöht ist. Stadtamseln vermehren sich 3-4 mal im Jahr, was man dann immer an den Erd- und Moosklumpen auf dem Bürgersteig sehen kann.
Amseln sind Teilzieher, wobei mehr Weibchen als Männchen den Winter in Südwesteuropa verbringen. Für die überwinternden Männchen hat das den Vorteil, bereits ein Revier besetzt zu haben, das sie den zurückkommenden Weibchen anbieten können. Das gilt natürlich um so mehr für die Stadtamseln. Hier gibt es auch im Winter genug Nahrung, so dass immer mehr Individuen gar nicht mehr ziehen.
Zoologisch heißen Amseln Turdus merula und gehören zu den Singvögeln (Unterordnung Passeri) und hier zur Familie der Drosseln (Turdinae). Darauf beruht auch das heute kaum noch gebräuchliche Synonym Schwarzdrossel. Das hat allerdings noch nie so ganz gestimmt, denn schwarz (mit orangem Schnabel) sind nur die erwachsenen Männchen. Die Weibchen und die Jungvögel sind am ganzen Körper unscheinbar dunkelbraun. Der Farbwechsel vom Jungtier zum Männchen geht allerdings nicht in einem Schritt. Deshalb sieht man manchmal „halbstarke“ Männchen, die schon einen gelborangen Schnabel, aber noch ein braunes Federkleid tragen.
Der Revier- und Balzgesang der Amselmännchen ist äußerst melodisch und soll eine große Nähe zu den im menschlichen Gesang üblichen Tonfolgen haben. Deshalb hat die Amsel Eingang in viele Volkslieder gefunden (Alle Vögel sind schon da - Amsel, Drossel, Fink und Star!). Bis in die jüngere Zeit hat der Amselgesang auch klassische Komponisten inspiriert. Als Beispiel sei hier „Le Merle Noir“ von Olivier Messiaen aus dem Jahre 1951 genannt. Der Komponist hat sich übrigens sehr intensiv mit Vogelgesang beschäftigt und diesen in zahlreichen Musikstücken verarbeitet. Selbst in der Popmusik hat die Amsel ihre Spuren hinterlassen. Für den Titel „Blackbird“ auf dem berühmten Weißen Album der Beatles von 1968 wurde der Gesang nicht musikalisch nachgeahmt sondern Originalaufnahmen eingeschnitten. Inhaltlich stand die Amsel (engl. blackbird) hier als Symbol für die Erniedrigung schwarzer Frauen.
2001 wurde in Österreich ein mysteriöses Amselsterben beobachtet, was auch andere Sing- und Eulenvögel traf. Als Erreger konnte das Usutu-Virus identifiziert werden, das wohl schon im 16. Jhdt. in Afrika entstanden ist. Aber erst jetzt machte es sich in Europa breit, was in Deutschland in der Folge einen erheblichen Rückgang der Amseln bewirkte. Naturgemäß waren die viel dichteren Stadtpopulationen davon mehr betroffen als die Waldpopulationen. Inzwischen scheinen sich die Bestände auf niedrigerem Niveau stabilisiert zu haben. Wahrscheinlich sind die überlebenden Amseln resistenter und die Parasiten weniger virulent geworden. Aus Sicht des Parasiten ist es eben keine gute Strategie, die Kuh zu schlachten, die man noch jahrelang melken könnte.
zuletzt bearbeitet am 1.III.2022