21. April 2022
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Auffallend bunt und beliebt als Käfigvogel: Der Stieglitz
Karl Josef Strank
Mitunter sieht man auf Blumenwiesen, in denen auch Karden und Disteln wachsen, recht bunte Vögel um die Blütenköpfe kreisen und Samen aus ihnen picken. Es sind Stieglitze, die, wenn das Futterangebot passt, noch recht häufig anzutreffen sind. Linné nannte die Art Carduelis carduelis, ein Name, der Bezug nimmt auf Carduus, die Distel, weswegen er häufig auch als Distelfink bezeichnet wird. Der elfenbeinfarbene Schnabel ist spitz und lang. Das vordere Gesicht um die Augen ist rot, die Seiten sind weiß, dann folgt ein schwarzer Kragen mit Kopfhaube. Die schwarzen Flügel weisen in der Mitte ein breites Band hellleuchtender gelber Federn auf. Der Körper ist hellbraun, die Brust weißlich, der Schwanz wiederum schwarz mit weißen Tupfen. Der bayrische Name Zusammscharricht nimmt auf die Buntheit Bezug. Nach der Legende hat Gott, als alle Vögel ihr Federkleid erhalten hatten und nur der Stieglitz übrig war, alle restlichen Farben der Palette zusammengescharrt und ihm sein buntscheckiges Federkleid verpasst. Seine exotische Farbigkeit macht den Stieglitz bis heute zu einem beliebten Käfigvogel. Vogelfreunde haben ihn mit dem Kanarienvogel und anderen Stieglitzartigen verpaart, was einen ganzen Schwarm von Hybridformen hervorbrachte. Man war der Meinung, dass eine Kreuzung mit dem Bluthänfling einen besonders guten Sänger ergebe. Die Verballhornung des Lockrufs „stiglitt“ oder „ziditt“ und des slawisch-polnischen szczygiet sind Ursprung des Namens Stieglitz.
Die christliche Ikonographie konnte diesen bunten Vogel natürlich nicht übersehen. Berühmt ist Raffaels Gemälde „Madonna mit dem Distelfink“. Es zeigt Maria mit Johannes und Jesus als Kinder. Der Distelfink symbolisiert den Leidensweg Christi und nimmt so die Kreuzigung des Jesusknaben vorweg. In der Musik verewigte Vivaldi den Vogel in dem Flötenkonzert „Il Cardellino“ und auch in den „Vier Jahreszeiten“ lässt er ihn im Sommer anklingen.
Der Stieglitz besiedelt verschiedene Klimazonen, er kommt von Westeuropa bis Mittelsibirien, Nordafrika sowie West- und Zentralasien vor. Aufgrund seiner Beliebtheit als Stubenvogel wurde er in Südamerika, Australien, Neuseeland und einigen Inseln Ozeaniens eingebürgert. In Nord-Amerika konnte er trotz zahlreicher Versuche nicht Fuß fassen.
Als Lebensraum benötigt er offene, baumreiche Landschaften. Ideal sind Hochstamm-Obstwiesen mit extensiver Unternutzung und ausgedehnte Wildkraut- und Ruderalflächen mit üppiger Vegetation an Kräutern, Stauden und Sträuchern. Diese fand er natürlicherweise vor allem an Acker- und Wegrainen, auf Brachen sowie auch in Parks und Gärten. Von 152 Kräutern bevorzugt er die Samen der Ackerdistel, Gänsedistel, Kratzdistel und Karden. Durch genaue Beobachtung wies schon Darwin nach, dass wegen der größeren Länge und Schmalheit des Schnabels die Männchen besser an die Kardensamen gelangen als die Weibchen. Bevorzugt werden ferner Hirtentäschel, Ampfer, Wegerich, Mädesüß, Sonnenblume, Kornblume, Knöterich sowie Kiefern- und Birkensamen. Um an die Samen zu gelangen, turnen sie sehr akrobatisch um die Blütenstände, auch kopfüber sind sie erfolgreich.
Die Paare leben in saisonaler Monogamie, behaupten kein großes Revier und bilden häufig kleine Brutkolonien mit durchschnittlich drei bis fünf Paaren. Die Schlafgemeinschaften begeben sich tagsüber oft gemeinsam auf Futtersuche. Normal sind von Ende März bis Juni zwei Jahresbruten mit 4 bis 6 Eiern pro Gelege. Das Weibchen übernimmt während des Brutgeschäfts die Regie, sie kümmert sich um die Jungen, das Männchen beschafft für die Familie die Nahrung. Die Jungvögel schlüpfen blind und nackt, verlassen nach etwa zwei Wochen das Nest und werden noch eine Weile von den Eltern versorgt. Mit drei Wochen nehmen sie allein die Nahrung auf und nach vier Wochen sind sie selbstständig.
Hauptgefährdungsursache ist der Lebensraumverlust. Heute leben nur noch 40 % des Bestands im ländlichen Raum. 60 % bevorzugen inzwischen den Siedlungsraum. Auf dem Land fehlt es an samenreichem „Wildwuchs“ an Weg- und Ackerrainen.
zuletzt bearbeitet am 18.V.2022