28. April 2022

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Einbeere - Blume des Jahres

 Joachim Schmitz

Seit 1980 lobt die Loki Schmidt-Stiftung jedes Jahr eine Blume des Jahres aus. Dieses Jahr fiel die Wahl auf die Einbeere (Paris quadrifolia).

Auch dieses Jahr ist die Blume des Jahres selbst nicht unmittelbar gefährdet, sondern steht für ein bedrohtes Biotop. In diesem Fall sind es natürliche, anspruchsvollere Wälder. Die Einbeere bevorzugt frische, nicht zu trockene, humose Böden auf Kalk oder sonstwie basischem Untergrund. Dazu besitzt sie eine Mykorrhiza, also eine Symbiose mit einem Wurzelpilz. Diese Pilze vertragen keinen mineralischen Dünger. Natürlich geht niemand durch den Wald und streut Kunstdünger aus. Aber die große Menge an Stickstoffoxiden aus technischen Verbrennungen (Dieselmotoren, Kohle- und Gaskraftwerken usw.) reagiert in Wolken mit dem Wasser zu Nitrit und Nitrat und regnet so herab. Im Klartext heißt das: Es regnet praktisch Salpeter, also Dünger. Und das betrifft eben nicht nur die hier symbolisch herausgehobene Einbeere. In einem natürlichen Wald sind alle Bäume und viele weitere Pflanzen über die Mykorrhiza regelrecht vernetzt.

Die Einbeere meidet deshalb die Nähe des Menschen. In Nordrhein-Westfalen gilt sie als ungefährdet. Schaut man genauer hin, fallen aber Unterschiede auf. Die Rote Liste unterteilt NRW in sechs Großlandschaften. Neben Großstädten enthalten diese auch immer naturnahe Bereiche. Lediglich im Niederrheinischen Tiefland gilt die Art als gefährdet (Stufe 3), wahrscheinlich, weil es hier sowieso weniger passende Wälder gibt. In der jüngsten Fassung von 2011 wird unabhängig von den Großlandschaften zusätzlich der „Ballungsraum Ruhrgebiet“ ausgewiesen, und hier ist die Einbeere mit 1 eingestuft, also akut vom Aussterben bedroht!

Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die Roten Listen aller Bundesländer vergleicht. In den großen Flächenländern gilt die Einbeere als ungefährdet. Bedroht ist sie aber in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg. Dass Bremen da nicht auftaucht, liegt wohl nur daran, dass Bremen mit dem riesigen Niedersachsen eine gemeinsame Rote Liste führt.

Systematisch gehört die Einbeere zu den Lilienartigen (Ordnung Liliales). Zuletzt gehörte sie einer eigenen Familie Einbeerengewächse (Trilliaceae) an. Seit kurzem ist die Familie mit den Melanthiaceae vereinigt, von denen in Deutschland nur der Germer vorkommt. Da der letztere Name der ältere ist, hat er Priorität, und so gehört die Einbeere heute zu den Germergewächsen.

Sehr ungewöhnlich für die Verwandtschaft ist die vierzählige Organisation der Einbeere. Bei Lilienartigen ist die Dreizähligkeit aller Blütenorgane normal. Die Einbeere hat aber 4 annähernd quirlständige Laubblätter. Darüber thront eine Blüte aus 2x4 grünlichen Kronblättern, 2x4 Staubblättern und einem Fruchtknoten, der normalerweise aus 4 Fruchtblättern verwachsen ist. Wahrscheinlich hat Linné wegen dieser Symmetrie auch den Namen geprägt: par heißt lateinisch gleich, und hier kommen eben alle Pflanzenorgane in gleicher Verteilung vor.

Viel auffälliger ist allerdings die schwarzblau glänzende Beerenfrucht. Daher kommt auch der deutsche Name Einbeere. Etliche Volksnamen nehmen darauf Bezug. Neben mundartlichen Abwandlungen von „ Einbeere“ gibt es z.B. auch Wolfsberi (Uri), Teufelsbeer (Kärnten) oder Schlangenbeeri (Graubünden), die alle widerspiegeln, dass die Beeren giftig sind. Manchmal wurden die Beeren auch mit der Tollkirsche (Atropa belladonna) gleichgesetzt, z.B. auf der Schwäbischen Alb als Dollkirsche oder Kleine Tollkirsche bezeichnet. Der Ethnobotaniker Christian Rätsch leitet daraus ab, dass die Einbeere nicht nur giftig ist, sondern wie die echte Tollkirsche auch halluzinogen sein könnte.

 

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zuletzt bearbeitet am 18.V.2022