30. Juni 2022

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Dinkel, Emmer & Co.

  Joachim Schmitz

Vor etwa 10.000 Jahren zogen Menschen im nahen und mittleren Osten nicht mehr als Jäger und Sammler umher. Sie ließen sich in festen Siedlungen nieder. Dazu gehörte auch, dass sie Stärke liefernde Grasfrüchte nicht mehr suchten, sondern planmäßig um ihre Siedlungen anbauten. Damit war die Landwirtschaft geboren.

Eines der ältesten Getreide dürfte der Wilde Weizen (Triticum boeoticum) gewesen sein. Durch züchterische Selektion wurden die Körner größer. Bei der Fruchtreife zerfällt die Ähre des Wildgrases in die Ährchen, was die Ernte mühsam macht. Dies wurde ebenfalls durch Züchtung verbessert. Etwas brüchig waren die Ähren allerdings immer noch. Aber man konnte die Körner durch Dreschen ernten. Die so entstandene Kulturart ist das Einkorn (T. monococcum).

Eine weitere wilde Weizenart (T. dicoccoides) wurde ebenfalls in Kultur genommen. Diese Art ist aus einer Hybride des Wilden Weizens mit einer nicht genau bekannten Walchart (Aegilops species) und anschließender Verdopplung der Chromosomensätze entstanden. Deshalb hat die Art 2x2 Sätze zu je 7 Chromosomen. Vermehrung der Chromosomensätze führt allgemein zu vitaleren Pflanzen mit größerem Ertrag. Ähnlich wie beim Einkorn wurde daraus durch züchterische Selektion der Emmer (T. dicoccus). Wie Einkorn war auch Emmer von moderneren Weizenarten fast vollständig verdrängt worden. Heute finden sich wieder kleine Flächen im Bioanbau. Gebäck gibt Emmer einen nussigen Geschmack. Im Bioladen bekommt man heute auch wieder ein Emmerbier.

Bei allen bisher genannten Weizenarten bleiben die Spelzen am Korn und müssen erst durch den „Gerbgang“, einem besonderen Mahlverfahren, abgetrennt werden. Aus dem Emmer wurde der spelzfreie Hart-Weizen (T. durum) gezüchtet. Wegen des geringen Kleberanteils ist der besonders für Nudeln aller Art geeignet. Da die Art auch mit sehr wenig Niederschlag auskommt, wird sie vor allem im Mittelmeergebiet und in Vorderasien angebaut. Ebenfalls in diese Verwandtschaft gehört Kamut (T. turanicum).

Irgendwo in der heutigen Türkei kam es vor vielleicht 6000 Jahren erneut zu einer Einkreuzung einer Walchart, diesmal Aegilops tauschii. Durch Verdopplung der Chromosomensätze der Hybride entstand die neue Art T. spelta, die also jetzt 6 Chromosomensätze von 3 verschiedenen Eltern enthält. Der deutsche Name Spelt deutet an, dass die Art noch am Korn haftende Spelzen hat. Bekannter ist dieser Weizen heute unter dem Namen Dinkel. Durch Züchtung entstand schließlich daraus der moderne spelzfreie Saat-Weizen (T. aestivum). Bis etwa 1900 war Dinkel die in Deutschland vorherrschende Weizenart. Die Bedeutung spiegelt sich in Ortsnamen wie Speltach (Württemberg) oder Dinkelsbühl (Franken) wider. Der Dinkel ist hier sogar im Stadtwappen verewigt. Der einfacher zu verarbeitende, ertragreichere, aber auch anspruchsvollere Saat-Weizen konnte sich wohl erst mit der Einführung des Kunstdüngers ausbreiten.

Der Saat-Weizen hat mehr und anders zusammengesetztes Klebereiweiß, was bessere Backeigenschaften zur Folge hat. Reines Dinkelbrot ist oft etwas krümelig. Durch Zugabe von Ascorbinsäure kann man die Klebereigenschaften verbessern. In Biobäckereien wird dies durch Acerolakirschpulver erreicht. Acerola hat übrigens gar nichts mit unseren Kirschen zu tun. Es ist ein tropisches Malpighiagewächs, dessen Früchte sehr viel Vitamin C (=Ascorbinsäure) enthalten.

Dinkel gilt als gesünder als Saat-Weizen. Das geht wohl auf Hildegard von Bingen zurück, die Dinkel in den „Physica“ heraushebt. Wissenschaftlich konnte das aber bisher nicht eindeutig belegt werden. Fairerweise darf man (oft biologisch angebauten) Dinkel auch nur mit Bio-Weizen vergleichen.

 

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zuletzt bearbeitet am 12.VII.2022