13. Okt. 2022
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Anhänglich wie eine Klette
Ruth Gestrich-Schmitz
Wer kennt nicht die Blütenköpfe der Großen Klette, die sich mit ihren stabilen Widerhaken inniglich mit Pullovern, Strümpfen oder Haaren verbinden, und nur mit Mühe wieder zu entfernen sind. Damit wurde die Klette ein Symbol für eher lästige Anhänglichkeit. Für die Klette ist diese Anhänglichkeit jedoch von großem Vorteil. Reife „Kletten“ bleiben so am Fell von an der Pflanze vorbeistreifenden Tieren hängen und werden auf diese Weise weit verbreitet. Als bouton de soldat (Knopf des Soldaten) nutzen einst die Franzosen die Blütenköpfe als Ersatz für verlorene Knöpfe an ihren Uniformen. Dieses Klettprinzip der Hakenborsten ist das Paradebeispiel für die Bionik, bei der Phänomene aus der Natur für Entwicklungen in der Technik genutzt werden. Heute ist der Klettverschluss nicht mehr wegzudenken, den der Schweizer Ingenieur George de Mestral 1941 entwickelte und sich zehn Jahre später unter dem Namen Velcro - von franz. velours (Samt) und crochet (Haken) patentieren ließ.
Die Große Klette (Arctium lappa) gehört zur Familie der Korbblütler (Asteraceae), ist in Europa beheimatet und heute weltweit in allen gemäßigten Zonen verbreitet. Neben der Großen Klette, die in der Pflanzenliste der Landgüterverordnung Karls des Großen unter dem Namen parduna aufgeführt ist, kommen bei uns auch die Filz-, die Hain- und die Kleine Klette vor, die alle untereinander Bastarde bilden können.
An ihren Standort stellt die Große Klette kaum Ansprüche. Sie kommt mit wenig Erdreich aus, wächst auf Mauern, Dämmen, Ödland, Schuttplätzen, Wegrändern, auch an Bachufern. Im ersten Jahr bringt sie eine Rosette mit Blättern hervor. Ihre ästig verzweigte Pfahlwurzel kann bis zu sechzig Zentimeter lang werden. Im zweiten Jahr wachsen bis zu einhundertfünfzig Zentimeter hohe, oft rot überlaufene, wollig behaarte Stängel mit reicher Verzweigung und gestielte, oberseits grüne, unterseits grau und filzig behaarte, herz- bis eiförmige Blätter. Die untersten Blätter können bis zu achtzig Zentimeter lang werden. Von Juli bis September entwickeln sich bläulich-rote Blütenstände in locker doldentraubiger Anordnung. Die Blütenköpfe sind drei bis fünf Zentimeter breit mit an der Spitze hakig gekrümmten Hüllblättern. Die Samen, Achänen genannt, werden sechs bis acht Millimeter lang. Sie tragen einen Borstenkranz aus kleinsten spitzen Pappushaaren, die als Schutz vor Fraßfeinden wie Wanzen dienen. Zur Fruchtreife fallen diese gelben Härchen ab und können bei Berührung mit der Haut oder dem Auge schmerzhaften Juckreiz verursachen.
Seit Alters her werden Wurzel, Samen und Blätter der Großen Klette in der Volksmedizin bei Hautproblemen wie Schuppenflechte, Akne und Ekzemen, gestörter Leber- und Galle-Funktion, Haarausfall und rheumatischen Erkrankungen verwendet. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass insbesondere der Inhaltsstoff Arctiin und das von ihm abgeleitete Arctigenin antioxidative, entzündungshemmende, antivirale, antidiabetische und möglicherweise auch eine tumorhemmende Wirkung entfalten. Auch wenn durch das Auflegen eines großen Klettenblatts auf eine Glatze kein neuer Haarwuchs erfolgt, so wendet man Klettenwurzelöl gerne zur Kräftigung der Haarwurzeln (daher der Name Haarwachswürze) sowie bei schuppiger Kopfhaut an.
Vor allem in Asien nutzt man die Große Klette gerne für kulinarische Genüsse. Dazu wird meist die Variation sativa angebaut. Gobo, die japanische Klettenwurzel, die es mittlerweile als Züchtungen mit besonders großen, wohlschmeckenden Wurzeln gibt, wird gerne als kimpira, ein Gericht mit in kleine Stäbchen geschnittenen Wurzeln, mit Sojasoße gewürzt und gebraten, gegessen. Die Pflanzen kann man sich selbst aus Samen ziehen oder Wurzeln in Asialäden kaufen. Ebenso werden die geschälten Blattstiele und die jungen Blätter in der asiatischen Küche gerne verwendet.
Und nicht nur für den Menschen ist die Große Klette eine wertvolle Pflanze, auch unsere heimischen Tiere wissen sie zu schätzen: Für Bienen und andere Insekten sind die Blüten eine willkommene Nektarquelle im Sommer und Herbst. Der Stieglitz pickt gerne die Samen. Und unter den großen Grundblättern tummeln sich alle möglichen Kleintiere, die von vielen Vögeln gerne verspeist werden.
zuletzt bearbeitet am 11.XI.2022