20. Okt. 2022
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Wie kommt der Zucker in die Rübe?
Joachim Schmitz
Jetzt läuft wieder die Kampagne, wie die Rübenbauern ihre Erntesaison nennen. Dabei gibt es Zuckerrüben noch gar nicht so lange. Erstmals erwähnt der Franzose de Serres 1608 den süßen Saft der Roten Bete. 1747 konnte der Berliner Chemiker Marggraf bei weißen Runkelrüben nachweisen, dass der Rübenzucker dem Zucker des Zuckerrohrs gleicht. In beiden Pflanzen kommt also Rohrzucker (Saccharose) vor. Vermutlich 1783 begann sein Mitarbeiter Achard den Versuchsanbau von Runkelrüben. Die Ausbeute war aber noch gering und der Zucker aus tropischem Zuckerrohr viel billiger.
Das änderte sich, als der Import aus französischen Kolonien durch die Revolution und die folgenden Wirren teurer wurde. Nach einem Sklavenaufstand auf der Karibikinsel Santo Domingo 1791 hatte sich der Preis fast verdoppelt. Auf der Suche nach heimischen Zuckerpflanzen intensivierte Achard die Entwicklung der Zuckergewinnung aus Rüben. 1802 richtete er in Niederschlesien eine Versuchs- und Lehranstalt ein. Dies gilt als die älteste Rübenzuckerfabrik der Welt. Durch Züchtung wurde der Zuckergehalt auf heute 20% gesteigert. An der weltweiten Zuckerproduktion beträgt der Anteil von Rübenzucker ca. 38%.
Alle weiteren Zuckerpflanzen wie z.B. Zucker-Ahorn in Nordamerika oder Palmblüten in den Tropen spielen mengenmäßig eine untergeordnete Rolle.
Chemisch ist Rohrzucker ein Doppelzucker, d.h. er besteht aus zwei Einfachzuckern, dem Traubenzucker (Glucose) und dem Fruchtzucker (Fructose), die beide ein Grundgerüst von 6 Kohlenstoffatomen aufweisen. Rohrzucker besitzt also 2x6 Kohlenstoffatome.
Traubenzucker ist DER zentrale Zucker im Stoffwechsel aller Tiere und Pflanzen. In den Blättern von Pflanzen wird er aus Kohlendioxid und Wasser gebildet. Die Energie dazu liefert das Sonnenlicht, weshalb man diesen Prozess Fotosynthese nennt (griech. phōs = Licht). Gespeichert wird Traubenzucker als Stärke. Das ist ein Riesenmolekül aus Hunderten bis Tausenden Traubenzuckereinheiten. Es wäre folglich das Einfachste, den Zucker von den Blättern in die Speicher zu leiten und bei Bedarf die Stärke wieder aufzuspalten. Bei der Bildung von Rohrzucker muss erst ein Traubenzucker in Fruchtzucker umgelagert und dann mit einem zweiten Traubenzucker verbunden werden. Warum macht die Natur das so umständlich?
Der Grund ist, dass Rohrzucker chemisch beständiger ist. Z.B. kann Traubenzucker (zu Gluconsäure) oxidiert werden, Rohrzucker nicht. Außerdem wirkt Rohrzucker keimhemmend. Das ist der Grund, warum man Obst als Kompott oder Marmelade länger aufbewahren kann. Rohrzucker wird auch deshalb als Haushaltszucker verwendet, weil er doppelt so stark süßt wie Traubenzucker.
Vereinfacht kann man zusammenfassen: Traubenzucker ist der primär gebildete Zucker, Rohrzucker die Transportform und Stärke die Speicherform. Deshalb enthalten alle Pflanzen Rohrzucker, wenn auch in geringer Konzentration. Bei der Rübe wurde diese durch züchterische Selektion erhöht. Zuckerrohr enthält dagegen von Natur aus ca. 15% Rohrzucker. Der biologische Sinn ist vermutlich die keimhemmende Wirkung. Pflanzen sind im tropischen Klima viel stärker Bakterien, Pilzen usw. ausgesetzt als im gemäßigten Klima.
Getreidekörner enthalten den Embryo und die Speicherstärke dicht beieinander. Deshalb kann sich ein keimendes Korn den Umweg über den Rohrzucker sparen. Hier wird die Stärke zunächst in Malzzucker (Maltose) gespalten. Das ist ein Doppelzucker aus zwei Molekülen Traubenzucker. Trocknet man den Keimling unter Erwärmung ab (darren), kann man den Malzzucker gewinnen und u.a. zum Bierbrauen verwenden. In der lebenden Pflanze wird der Malzzucker schnell weiter verstoffwechselt.
zuletzt bearbeitet am 11.XI.2022