12. Jan. 2023

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Dürfen Vegetarier noch Pilze essen?

 Joachim Schmitz

Die Frage ist gar nicht so abwegig, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Früher hat man Pilze zu den Pflanzen gezählt. Dann schienen die Unterschiede doch zu groß, so dass man sie als eigenes Reich neben Pflanzen und Tiere gestellt hat. Mit der fortschreitenden Technik der DNA-Analyse konnten viele zweifelhafte Abstammungsverhältnisse molekulargenetisch aufgeklärt werden. Dabei ist von dem, was früher zu Pilzen gezählt wurde, nicht mehr viel übrig geblieben.

Die Schleimpilze erwiesen sich als verwandt mit Einzellern und gehören heute zu den Amoebozoa. Tatsächlich durchlaufen sie ein Entwicklungsstadium, in dem sie sich wie eine Amoebe bewegen.

Die Jochpilze waren als Verwandtschaftsgruppe nicht mehr zu halten und wurden 2007 völlig aufgelöst.

Die Zugehörigkeit der Algenpilze zu Pilzen wurde schon lange angezweifelt, u.a. weil ihre Zellwände nicht aus Chitin sondern aus Zellstoff (Cellulose) bestehen. Das ist aber typisch für Pflanzen. Auch von den Algenpilzen wurden mehrere Gruppen aussortiert. Als stammesgeschichtlich natürliche Gruppe sind die Eipilze (Oomycota) übrig geblieben. Dazu gehören gefürchtete Pflanzenparasiten wie Falscher Mehltau oder die Kartoffelfäule. Die Eipilze stehen Rot- und Gelbalgen nahe. Zusammen mit Algen und Höheren Pflanzen bilden sie die Archaeoplastida. In Anpassung an die parasitische Lebensweise haben sie allerdings die Plastiden und damit die Fähigkeit zur Fotosynthese eingebüßt. Dass sie sowohl auf Deutsch wie wissenschaftlich immer noch Pilze genannt werden, liegt nur daran, dass sich noch niemand aufraffen konnte, einen neuen gültigen Namen aufzustellen.

Was heute noch bei Pilzen (Fungi) geblieben ist, sind neben kleineren Gruppen vor allem Schlauchpilze (Ascomycota) und Ständerpilze (Basidiomycota). Die Namen beziehen sich auf die Form der Organe, in denen die Sporen gebildet werden. Sie wurden traditionell als Höhere Pilze den übrigen Niederen Pilzen gegenübergestellt. Diese Niederen Pilze werden aber heute überwiegend ganz anderen Verwandtschaftsgruppen zugeordnet.

Schlauchpilze bilden nur selten große Fruchtkörper, z.B. bei der Frühjahrslorchel. Viele sind mikroskopisch klein, darunter mikrobiologisch wichtige Familien wie Back-, Brau- und Weinhefen und Gattungen wie Köpfchenschimmel, aus denen das erste Antibiotikum gewonnen wurde. Dass diese Schimmel Schlauchpilze sind, konnte erst molekulargenetisch nachgewiesen werden. Sie vermehren sich nur noch ungeschlechtlich und bilden keine sexuell erzeugten Sporen und damit keinen Schlauch als sporenbildendes Organ.

Es gibt sogar fleischfressende Pilze. Der Schopf-Tintling lähmt und verdaut Fadenwürmer.

Woran man spontan bei dem Wort Pilze denkt, sind Ständerpilze. Fast alle Speisepilze gehören hierhin.

Ein Grund für die Abtrennung der Pilze von den Pflanzen war die Zellwand. Die besteht bei Pflanzen aus Zellstoff, bei Pilzen aus Chitin. Das ist auch ein Kohlenhydrat, enthält aber zusätzlich Stickstoff. Das gleiche Chitin ist aber auch in der Hülle zahlreicher wirbelloser Tiere vorhanden, mal eher elastisch wie beim Regenwurm, mal panzerhart wie bei Insekten.

Jetzt ist klar: Pilze sind mit Tieren verwandt! Beide gehören zu den Opisthokonta (gr. „Hinterpolige“). Der Name bezieht sich auf die Stellung der Geißel, die bei einzelligen Stadien (z.B. Geschlechtszellen) am Zellende sitzt. Auch wenn einige Mitglieder der Opisthokonta keine solche Zellen mehr ausbilden, gehen sie doch alle auf einen gemeinsamen Vorfahren zurück, der irgendwie ein Einzeller mit der entsprechenden Begeißelung gewesen sein muss. Pilze sind also wesentlich enger mit Tieren verwandt als mit Pflanzen. Das bringt uns zur Ausgangsfrage zurück: Dürfen Vegetarier dann noch Pilze essen?

 

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zuletzt bearbeitet am 16.II.2023