16. März 2023
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Was hat der Birkenporling mit Ötzi zu tun?
Ruth Gestrich-Schmitz
Mit Pilzen verbindet man in erster Linie die köstlich schmeckenden Fruchtkörper von Steinpilz, Maronenröhrling, Champignon, Pfifferling und vielen anderen Speisepilzen, aber auch die Giftigkeit von Knollenblätterpilz, Fliegenpilz und Co., bei denen man besser nur den Anblick genießt. Als „Magic Mushrooms“ sind diejenigen Pilze bekannt, deren Inhaltsstoffe, wie LSD oder Psilocybin, halluzinogene Wirkung besitzen und ihre Konsumenten in das Reich der Träume schicken, jedoch mit dem gravierenden Nachteil, dass sie abhängig machen und deshalb verbotene Drogen sind. Unsere Vorfahren waren davon überzeugt, dass Pilze das Immunsystem stärken und heilende Kräfte haben können. Traditionell werden in China seit etwa fünftausend Jahren Pilze, die man mit bloßem Auge erkennen kann, in der Volksmedizin verwendet (Mykotherapie). Römische Quellen besagen, dass auch in Europa die Heilkraft mancher Pilze seit mindestens zweitausend Jahren bekannt ist. Mit der Entdeckung der etwa fünftausenddreihundert Jahre alten Gletschermumie Ötzi wurden zwei getrocknete Pilze gefunden, die er, auf eine Schnur gezogen, bei sich trug. Man konnte das Pilzmaterial dem Birkenporling (Fomitopsis betulina), einem Schwammpilz, zuordnen. Man vermutet, dass Ötzi die Pilze wegen ihrer entzündungshemmenden Wirkung nutzte. Der Lärchenschwamm (Laricifomes officinalis) war in der Vergangenheit wohl der am häufigsten und am vielfältigsten eingesetzte Heilpilz. Er diente als drastisches Abführmittel, und als Mittel gegen Vergiftungen, vermutlich deswegen, weil bei der Einnahme von mehreren Gramm rasches Erbrechen erfolgt. Äußerlich wirkt er, wie der Zunderschwamm, blutstillend. Man verwendete ihn für entzündungshemmende Umschläge bei Rheuma und Gicht, Schwellungen und infizierten Wunden. Das im Pilz enthaltene Agaricin wirkt bei innerlicher Aufnahme schweißsekretionshemmend. Die traditionelle chinesische Medizin setzt den Lärchenschwamm bei Husten, Asthma und Nierenerkrankungen ein. Indianerstämme im Nordwesten der USA und Kanadas nutzten ihn als Tee bei Erkrankungen einhergehend mit Fieber. Der attraktive Fliegenpilz (Amanita muscaria) wurde früher unter anderem bei Geschwüren, Tuberkulose und Epilepsie verwendet, wegen seiner halluzinogenen Eigenschaften auch bei rituellen Handlungen. Das häufig auf alten Holunderstämmen wachsende Judasohr (Auricularia auricula-judae) wurde besonders bei Entzündungen der Augen eingesetzt. Die Stinkmorchel (Phallus impudicus) galt als Mittel gegen Gicht, und wegen ihrer Gestalt als Aphrodisiakum. Der Mutterkornpilz (Claviceps purpurea), gerne auf Roggen parasitierend und dort sogenannte Sklerotien (Mutterkörner, verhärtete Dauerformen des Pilzes) ausbildend, wurde im Mittelalter zur Anregung der Wehen, als Abortivum und gegen Blutungen verwendet. Mit Beginn der modernen Medizin ging vieles vom Wissen um die Heilkraft der Pilze verloren, bis Alexander Fleming 1928 die Wirkung des Schlauchpilzes Penicillium gegen Bakterien entdeckte, die „Geburtsstunde“ des Antibiotikums.
Der Fliegenpilz wurde früher bei Tuberkulose und Epilepsie eingesetzt.
Heute sind sogenannte Vitalpilze sehr angesagt. Hersteller preisen sie als wahres Wundermittel gegen fast alle Krankheiten an. Doch hier ist Vorsicht geboten. Vermarktet werden Erzeugnisse, die pulverisierte, zerkleinerte Pilze bzw. Pilzextrakte enthalten, oft von nicht zum Verzehr geeigneten Pilzen wie Chinesischer Raupenpilz (Ophiocordyceps sinensis), Schmetterlingstramete (Trametes versicolor) oder Glänzender Lackporling (Ganoderma lucidum). Sie sind als Nahrungsergänzungsmittel, meist in Kapselform, erhältlich und in Deutschland nicht als Arzneimittel zugelassen. Die Datenlage zur Wirkung bei Krankheiten und zu den Risiken der Einnahme sind noch nicht genügend erforscht.
zuletzt bearbeitet am 2.IV.2023